Hornblower 07 - Unter wehender Flagge
sekundenlang, ehe er hinzusetzte: »Lassen Sie mich das besorgen, Sir.«
»Schön.«
»Jetzt gleich?«
»Ja.«
Mit wenigen Schritten näherte sich der Seemann dem nichtsahnenden Caillard. »Sie«, sagte er, »hören Sie mal...«
Der Franzose drehte sich um, aber schon im gleichen Augenblick traf Browns geballte Rechte mit voller Wucht sein Kinn. Lautlos sank er in den Schnee. Wie ein Tiger stürzte sich Brown auf ihn, und schon war auch Hornblower zur Stelle.
»Wickeln Sie ihn in seinen Mantel«, flüsterte er. »Halten Sie ihm die Kehle zu, während ich den Mantel aufknöpfe. Halt... hier ist seine Schärpe. Erst knebeln wir ihn damit.«
Die Schärpe der Ehrenlegion wurde dem unglücklichen Mann mit mehreren Windungen um den Kopf gelegt. Brown rollte den Strampelnden auf die Brust, stemmte ihm das Knie ins Kreuz und fesselte ihm die Hände mit Hilfe seines Halstuches auf den Rücken. Hornblowers Taschentuch genügte für die Füße. Fest zog Brown den Knoten an. Dann knickten sie ihn in der Mitte ein, wickelten ihn in den Mantel und befestigten diesen mit Hilfe des Koppels. Bush war sehr erstaunt, als die Wagentür geöffnet und ein schweres Bündel zu ihm hereingeschoben wurde.
»Mr. Bush«, sagte Hornblower - das dienstliche›Mister‹kam ganz unwillkürlich über seine Lippen, nun es wieder etwas zu tun gab -, »wir fliehen mit dem Boot.«
»Glück auf, Sir.«
»Sie kommen mit. Brown, nehmen Sie das Fußende der Bahre. Anlüften... Steuerbord ein wenig. Recht so...«
Bush fühlte sich samt seinem Ruhebett aus dem Wagen gehoben und durch den Schnee davongetragen.
»Boot heranziehen«, rief Hornblower leise und kurz. »Das Tauende durchschneiden. So, Bush, nun lassen Sie sich in diese Decken wickeln. Hier ist mein Mantel; den nehmen Sie ebenfalls. Mr. Bush, gehorchen Sie gefälligst, wenn ich Ihnen etwas befehle. Brown, Sie nehmen die andere Seite wahr. Am Heck wird er niedergesetzt. So, Brown, nehmen Sie die Riemen auf, sie liegen hier rechts unten. Gut - Fier weg! Setzen Sie sich auf die vorderste Ducht, Brown. Klar bei Riemen!... Absetzen vorn... Ruder an!«
Seit dem Augenblick, da Hornblower den Gedanken an Flucht ergriff, waren nur sechs Minuten vergangen. Nun trieben sie frei den dunklen Fluss hinunter. Caillard aber lag geknebelt und zu einem Bündel zusammengeschnürt am Boden der Kutsche.
Flüchtig fragte sich Hornblower, ob der Mann ersticken werde, bevor man ihn fand, doch stellte er fest, daß ihm das im Grunde genommen gänzlich gleichgültig war. Die persönlichen Adjutanten Bonapartes mussten bei der Ausführung ihrer Aufträge solcher Unannehmlichkeiten gewärtig sein; zumal, wenn sie Obersten der Gendarmerie waren. Er - Hornblower - hatte an wichtigere Dinge zu denken.
»Auf Riemen!« zischte er Brown zu. »Wir wollen uns treiben lassen.«
Es war vollkommen finster. Auf der achteren Ducht sitzend, konnte Hornblower nicht einmal die Wasseroberfläche sehen.
Zwar wusste er gar nicht, auf welchem Fluss er sich befand, aber schließlich fließt alles Wasser zum Meer. Das Meer! Bei dem Gedanken an Seewind und an das Gefühl, ein schwankendes Deck unter den Füssen zu haben, wurde die Sehnsucht in ihm so stark, daß er unruhig auf dem schmalen Brett umherrutschte.
Das Mittelmeer oder der Atlantik... er konnte nicht sagen, was ihm am nächsten lag, aber wenn sie phantastisches Glück hatten, dann konnten sie in diesem Boot die See erreichen, und die See gehörte England und würde sie zur Heimat tragen; zum Leben, statt zum Tode; zur Freiheit, statt zur Einkerkerung; zu Lady Barbara, zu Maria und zu seinem Kind.
Heulend strich der Wind über sie dahin und trieb ihm Schnee in den Nacken; die Duchten und die Bodenplanken waren dicht mit Schnee bedeckt. Er fühlte, wie sich das Boot drehte, denn der Wind kam jetzt von vorn und nicht mehr von der Seite.
»In den Wind drehen, Brown«, befahl er. »Langsam anrudern.«
Ein Sturm wie dieser würde sie bald ans Ufer oder gar flussaufwärts treiben, und daher war es am sichersten, die Wirkung des Windes durch langsames Gegenanrudern auszugleichen. In der herrschenden Dunkelheit war jede Orientierung ausgeschlossen.
»Leidlich bequem, Mr. Bush?«
»Aye, aye, Sir.«
Bush war jetzt schwach sichtbar, denn der Schnee hatte den grauen Mantel teilweise bedeckt.
»Möchten Sie liegen?«
»Danke, Sir, ich sitze lieber.«
Nun die Erregung der eigentlichen Flucht vorüber war, begann Hornblower zu frösteln, denn mit seinem Mantel hatte er den
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