Hornblower 07 - Unter wehender Flagge
ginge es leichter.«
»Wenn sie nicht die ganze Nacht im Schnee zubringen wollen«, rief der Oberst. Er vermied es, das Wort unmittelbar an Hornblower zu richten. Dem Kapitän lag es bereits auf der Zunge, ihm zu sagen, daß er ihn eher verdammt sehen möge - es würde ihn seelisch erleichtert haben -, aber andererseits wollte er Bush nicht einer Nacht im Freien aussetzen.
»Kommen Sie, Brown«, murmelte er, seinen Widerwillen herunterwürgend. Er öffnete die Tür, und die beiden sprangen in den Schnee.
Nochmals zogen die Pferde an, während fünf Männer mit aller Kraft in die Speichen griffen; vergebens. Der Schnee hatte sich an dem steilen Hang aufgeschichtet, und die erschöpften Pferde fanden keinen Halt in der tiefen Masse.
»Himmelherrgott...! Was für eine Bande von Krüppeln seid ihr!« tobte Caillard. »Kutscher, wie weit ist es noch bis Nevers?«
»Sechs Kilometer, Herr Oberst.«
»Das heißt, Sie nehmen an, daß es sechs Kilometer sind. Vor zehn Minuten bildeten Sie sich auch ein, auf der Chaussee zu sein, was durchaus nicht stimmte. Sergeant, Sie reiten nach Nevers und holen Hilfe herbei. Treiben Sie den Bürgermeister auf und requirieren Sie im Namen des Kaisers sämtliche kräftigen Männer, deren Sie habhaft werden können. Sie, Ramel, begleiten den Herrn Sergeanten bis zur Einmündung des Weges in die Landstrasse und warten dort auf seine Rückkehr, sonst findet er uns im ganzen Leben nicht wieder. Los, Sergeant, auf was warten Sie noch? Ihr anderen koppelt die Pferde und legt ihnen eure Mäntel über. Ihr könnt euch durch Schneeräumen warm halten. Kutscher, kommen Sie gefälligst runter und helfen Sie ihnen.«
Die Nacht war stockfinster. Zwei Meter von den Laternen entfernt war überhaupt nichts mehr zu sehen, und im fauchenden Sturm ging auch das Geräusch verloren, das die im Schnee arbeitenden Männer verursachten. Hornblower stampfte neben der Kutsche hin und her und schlug sich, um das Blut wieder in Umlauf zu bringen, die Arme um den Leib. Dennoch waren das Schneetreiben und der eisige Wind seltsam erfrischend. Im Augenblick sehnte er sich durchaus nicht nach dem muffigen Obdach des Wagens. Und während er sich so Bewegung machte, kam ihm ein Gedanke, der ihn jählings innehalten ließ, bis er, von der Lächerlichkeit seiner Erwägungen betroffen, seine Bemühungen mit verdoppeltem Eifer wieder aufnahm.
Heiß pulsierte jetzt das Blut durch seine Adern, wie es stets geschah, wenn er Pläne schmiedete... damals, als er der Natividad den Rückzug verlegte, war es so gewesen und ebenso, als er im Sturm vor Cap Creus der Pluto zu Hilfe kam.
Ohne die Möglichkeit, einen bewegungsunfähigen Krüppel zu befördern, hatte keine Hoffnung auf Flucht bestanden. Jetzt aber lag wenige Meter von ihnen entfernt ein geradezu ideales Beförderungsmittel... das Boot, das an seiner Vertäuung zerrte.
In einer Nacht wie dieser konnte man sehr leicht jegliche Orientierung verloren; ausgenommen auf dem Fluss. Dort hatte man nichts zu tun, als den Ufern fernzubleiben und sich im übrigen der Strömung zu überlassen, die unter den gegebenen Umständen schneller war als jedes Pferd. Allerdings blieb ein solches Vorhaben eine Tollkühnheit erster Sorte. Wie viele Tage konnten sie hier im Herzen Frankreichs ihre Freiheit bewahren: zwei gesunde Männer und ein Krüppel, der auf der Tragbahre lag? Erfrieren würden sie, verhungern und möglicherweise ertrinken. Und trotz allem bot ihnen hier das Schicksal eine Chance, die besser war als alles andere, was sie erwarten durften. In Vincennes erwartete sie das Hinrichtungskommando.
Mit leichter Zufriedenheit stellte Hornblower fest, daß seine fiebernde Erregung nun, da er einen Entschluss fassen konnte, zu schwinden begann. Ein grimmiges Lächeln glitt über sein Gesicht. Stets fand er es ein wenig komisch, wenn er sich in ein heroisches Geschehen verwickelt sah.
Stampfend tauchte Brown vor ihm auf. Hornblower redete ihn an, wobei es ihm mit großer Anstrengung gelang, seine Stimme leise, aber dennoch dienstlich klingen zu lassen. - »Wir werden in jenem Boot flussabwärts entfliehen, Brown.«
»Aye, aye, Sir«, antwortete der Bootsmann. Er schien nicht erregter zu sein, als hätte sein Vorgesetzter eine Bemerkung über die Kälte gemacht. Hornblower sah, wie er den Kopf dorthin wandte, wo kaum sichtbar der Oberst Caillard ungeduldig neben dem Wagen auf und nieder ging.
»Der Mann muss stumm gemacht werden, Brown.«
»Aye, aye, Sir.« Brown überlegte
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