Hornblower 07 - Unter wehender Flagge
Brown, und achten Sie auf die Steuerbordseite«, befahl Hornblower.
»Aye, aye, Sir. Ich habe das Boot fast lenz.«
Heck und Bug hoben sich nacheinander, als sie über eine wehrartige Stufe glitten. Das im Boot verbliebene Wasser klatschte gegen Hornblowers Beine. Das aus der Dunkelheit hervordringende Getöse war fürchterlich. Weißliches Wasser quirlte überall. Das Boot drehte sich, sprang und rollte. Dann stieß etwas Unsichtbares mittschiffs gegen die splitternde Seite.
Brown versuchte das Fahrzeug frei zu machen, doch gelang es ihm erst, als ihm Hornblower zu Hilfe eilte. Weiter schlingerten und stampften sie. Hornblower fand tastend die beschädigte Stelle und fühlte, daß nur die oberen beiden Planken eingedrückt worden waren. Er musste sich sagen, daß jener Felsen ebensogut die Schiffsseite unterhalb der Wasserlinie hätte treffen können.
Jetzt schien der Kiel gegen ein Hindernis zu stoßen, aber nach kurzem Stocken fand die rasende Fahrt ihre Fortsetzung. Das Tosen ließ nach, und abermals hatten sie eine Stromschnelle hinter sich.
»Soll ich wieder lenzen, Sir?« fragte Brown.
»Ja; geben Sie mir Ihren Wrickriemen.«
»Licht an Steuerbord voraus, Sir!« meldete Bush.
Hornblower sah über die Schulter. Zweifellos schimmerte dort ein Licht. Dicht daneben blinzelte ein zweites durch das Schneetreiben und dahinter noch eins, das aber kaum sichtbar war. Ein Dorf lag da am Ufer; vielleicht auch eine Stadt... die Stadt Nevers, die nach Angabe des Kutschers sechs Kilometer von jener Stelle entfernt sein sollte, an der sie den Wagen verlassen hatten.
»Still jetzt!« zischte Hornblower. »Brown, ausscheiden mit dem Ösfass.«
Wunderbar war es, wie ihm diese Lichter, die das einzige Greifbare inmitten einer Welt des Ungewissen darstellten, sofort wieder den richtigen Weg wiesen und es ihm gestatteten, abermals der Lage Herr zu werden. Er wusste wieder, wie die Strömung verlief. Noch immer blies der Sturm stromabwärts.
Mit einem Druck der kurzen Riemen legte er das Boot vor den Wind. Schneller noch tanzten die Lichter vorüber. Der Schnee peitschte ihm ins Gesicht. Es war kaum anzunehmen, daß sich in einer solchen Nacht jemand am Ufer befand und die Flüchtlinge beobachtete. Unzweifelhaft war das Boot viel schneller als die müden Pferde der Gendarmen, die Caillard vorausgesandt hatte.
Neuerdings drang das Donnern des Wassers an Hornblowers Ohr. Diesmal aber klang es ein wenig anders als zuvor. Den Hals reckend, gewahrte er hart voraus die Brücke, die sich weißlich vom tiefschwarzen Hintergrund abhob, weil die Bogen von Schnee überzogen waren. Wild zerrte er an den Riemen, um das Boot auf die Mitte eines Durchlasses zuzusteuern. Er fühlte, wie sich beim Näherkommen der Bug senkte und dann das Heck hob; das Wasser staute sich oberhalb der Brücke und schoss in langgestreckter schwarzer Bahn durch die Bögen. Hornblower ruderte mit aller Kraft, um dem Boot hinreichend Fahrt für die Überwindung der mit Sicherheit zu erwartenden Gegenwellen zu geben. Fast hätte der Brückenbogen seinen Kopf gestreift, so hoch reichte die Flut. Unheimlich hallte das Rauschen des Wassers von den steinernen Pfeilern wider. Das dauerte aber nur sekundenlang, dann waren sie hindurch.
Noch einmal blitzte drüben am Ufer ein Licht auf.
Unmittelbar darauf befanden sie sich wieder im Stockfinstern, und jede Orientierung war ausgeschlossen.
»Jesus Christus!« stieß Bush hervor. Es klang sehr ernst.
Hornblower hatte das Rudern eingestellt. Der Wind fauchte über sie dahin und trieb ihnen blendenden Schnee in die Augen. Vom Bug her ertönte ein geisterhaftes Lachen.
»Gott stehe den armen Seeleuten bei in solcher Nacht«, sagte Brown.
»Sorgen Sie dafür, daß das Wasser aus dem Boot kommt, Brown, und sparen Sie sich Ihre Scherze für später«, sagte Hornblower unwirsch. Heimlich schmunzelte er aber, wenn es ihm auch einwenig gegen den Strich ging, daß die Mannschaft sich solche Spaße ihrem Kapitän und dem Ersten Offizier gegenüber gestattete. Seine unglaubliche Gewohnheit, angesichts einer Gefahr oder einer übermäßigen Anstrengung wie ein Irrsinniger zu lachen, drohte jederzeit ihm einen Streich zu spielen, auch jetzt wieder schüttelte ihn ein leises Lachen, während er an den Riemen zerrte und gegen den Wind ankämpfte. Aus der Art, wie das Wasser an den Riemenblättern zerrte, ersah er, daß das Boot stark nach Lee antrieb. Plötzlich fiel es ihm schwer aufs Gemüt, daß er vor kaum zwei Stunden genau
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