Hornblower 07 - Unter wehender Flagge
Hornblower.
»Mein Gott, was werden sie in England hierzu sagen, Sir?«
Bush strahlte. Er dachte an Ruhm und Beförderung, die seiner und seines Kommandanten harrten.
»In England?« wiederholte Hornblower zerstreut.
Er war viel zu beschäftigt gewesen, um sich irgendwelchen Träumereien zu überlassen und darüber zu grübeln, was die stets zur Sentimentalität geneigte öffentliche Meinung Englands davon denken würde, daß ein gefangener britischer Kapitän fast ohne jede Hilfe ein weggenommenes Kriegsschiff zurückeroberte und es im Triumph nach England brachte. In Wirklichkeit hatte er die Witch of Endor doch in erster Linie nur deswegen entführt, weil sich ihm eine glänzende Gelegenheit dazu darbot und weil er damit den denkbar kräftigsten Hieb gegen den Feind führte. Seit der Kaperung war er zunächst zu tätig und danach zu müde gewesen, um die dramatische Seite der Angelegenheit genießen zu können. Das Misstrauen, das er stets gegenüber den eigenen Fähigkeiten hegte, und sein unausrottbarer, seine militärische Laufbahn betreffender Pessimismus gestatteten ihm nicht, in der Ausmalung seines Erfolges zu schwelgen. So etwas brachte der sonst nüchterne Bush viel eher fertig.
»Jawohl, Sir«, fuhr der Kapitänleutnant eifrig fort, obwohl Ruder, Kompass und Wind seine Aufmerksamkeit stark in Anspruch nahmen, »fein wird sich die Wiedereroberung der Witch in der Gazette ausnehmen. Selbst die Morning Chronicle, Sir...«
Die zuletzt genannte Zeitung stellte einen Dorn in der Seite der Regierung dar. Stets war sie bereit, einen Sieg zu verkleinern oder aus einer Schlappe Kapital zu schlagen.
Hornblower entsann sich noch gut daran, wie er sich während der ersten Zeit seiner Gefangenschaft in Rosas peinvoll ausgemalt hatte, was die Morning Chronicle über den Verlust der Sutherland zu sagen haben würde.
Plötzlich wurde ihm ganz elend zumute. Seine Gedanken waren jetzt sehr rege. Er sagte sich, daß seine bisherige Geistesträgheit größtenteils darauf zurückzuführen gewesen war, daß er sich scheute, an die Zukunft zu denken. Bis zu dieser Nacht war alles ungewiss geblieben, denn jederzeit hätte er wieder eingefangen werden können, aber jetzt stand die Rückkehr nach England so fest wie das Amen in der Kirche.
Nach achtzehnjähriger Dienstzeit musste er sich vor einem Kriegsgericht wegen des Untergangs der Sutherland verantworten. Das Gericht mochte finden, daß er angesichts des Feindes nicht seine äußerste Pflicht getan habe, und dafür gab es nur eine einzige Strafe: den Tod. Jener Kriegsartikel endete nicht mit den Worten:›sofern nicht eine geringere Strafe angemessen erscheint.‹Vor fünf Jahrzehnten war Byng auf Grund dieses Kriegsartikels erschossen worden.
Selbst aber, wenn man ihn nicht im eigentlichen Sinne für schuldig befand, so würde doch möglicherweise seine gesamte Führung des Linienschiffes einer abfälligen Kritik unterzogen werden. Man warf ihm vielleicht vor, daß er unsachgemäß handelte, als er sich in einen Kampf gegen vielfache Übermacht einließ, und erteilte ihm den Abschied. Das aber würde ihn zu einem Paria und zu einem Bettler machen. Selbst ein dienstlicher Verweis konnte seine Karriere zerstören. Ein Kriegsgericht war stets eine unberechenbare Sache, und wenige gingen ungerupft daraus hervor. Cochrane, Sidney Smith und ein halbes Dutzend hervorragender Kapitäne waren durch kriegsgerichtlichen Spruch zu Schaden gekommen, und er, Horatio Hornblower, war vielleicht der nächste auf der Liste.
Dabei verkörperte das Kriegsgericht nur die eine der vielen Schwierigkeiten, die seiner harrten. Das Kind musste inzwischen drei Monate alt geworden sein. Bis zu diesem Augenblick war Hornblower außerstande gewesen, sich eine klare Vorstellung von dem Kind zu machen; ob es ein Junge oder ein Mädchen, ob es gesund oder schwächlich war. Er verzehrte sich in Sorge um Maria und zwang sich doch zu dem bitteren Eingeständnis, daß er nur ungern zu Maria zurückkehrte; daß es ihm durchaus nicht passte. In einer Aufwallung wahnsinniger Eifersucht, die ihn damals ergriff, als er die Nachricht von der Vermählung Barbaras mit dem Admiral Leighton erhielt, war das Kind gezeugt worden. Maria in England, Marie in Frankreich... sein Gewissen peinigte ihn, und dennoch zog sich durch diesen Tumult seiner Seele wie ein roter Faden die leidenschaftliche Sehnsucht nach Lady Barbara, die nur solange erträglich blieb, als der bisherige Zustand anhielt und zum bohrenden
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