Hornblower 08 - Der Kommodore
finden.
Hornblower fand sich langsam wieder in seine Umgebung zurück und war höchst erfreut, daß ihm sein versunkenes Brüten über einen wesentlichen Teil des Balletts hinweggeholfen hatte.
Er hätte natürlich nicht sagen können, wie lange seine Geistesabwesenheit gedauert hatte, glaubte aber doch, daß darüber eine ziemliche Zeit verstrichen war. Jedenfalls schwiegen jetzt die Geschütze, das hieß, daß der Überfall entweder abgeschlagen war oder aber einen vollen Erfolg gehabt hatte.
In diesem Augenblick ging wieder die Tür auf, wieder trat ein Ordonnanzoffizier ein und flüsterte dem Gouverneur eine Meldung ins Ohr. »Der Angriff ist abgeschlagen«, sagte Essen zu Hornblower, »Jakouleff meldet, er habe fast keine Verluste gehabt, dagegen sei das Gelände vor der Ortschaft mit toten Franzosen und Deutschen übersät.«
Bei einem Fehlschlag des Angriffs war das nicht anders zu erwarten. Ein erfolgloser Überfall mußte dem Gegner schreckliche Verluste kosten. Macdonald hatte gehandelt wie ein Spieler, sein Einsatz waren ein paar tausend Menschenleben, der Gewinn, um den es ging, war das schnelle Ende der Belagerung. Er hatte dieses Spiel verloren. Dennoch konnte ein solcher anfänglicher Rückschlag eine »Grande Armee« höchstens zum Zorn reizen, nicht aber entmutigen. Die Verteidiger konnten also jeden Augenblick mit weiteren heftigen Angriffen rechnen.
Hornblower machte die herrliche Entdeckung, daß er wieder einen ganzen Akt des Balletts abgesessen hatte, ohne etwas davon zu merken. Da war schon die nächste Pause, durch die offene Tür fiel Licht in die Loge, und man konnte endlich wieder ein bißchen stehen und die Beine strecken. Er empfand es sogar als Erholung, höfliche Plattheiten mit den anderen auszutauschen und dabei ein Französisch anzuhören, das von den Sprachklängen halb Europas gefärbt war. Als die Pause zu Ende ging, nahm Hornblower mit ergebener Miene wieder auf seinem Stuhl Platz und war bereit, einen weiteren Akt des Balletts über sich ergehen zu lassen. Kaum hatte sich jedoch der Vorhang gehoben, da stieß ihn Essen heftig gegen den Schenkel, erhob sich und verließ die Loge. Hornblower folgte ihm auf dem Fuße.
»Wir wollen einmal nach dem Rechten sehen«, sagte er, sobald die Logentür hinter ihnen ins Schloß gefallen war. »Es hätte keinen guten Eindruck gemacht, wenn wir bei Beginn der Schießerei gleich aufgestanden wären. Jetzt ahnen die Leute nichts davon, daß wir in aller Eile aufgebrochen sind.« Vor dem Theater hielt eine Gruppe Husaren zu Pferde, während zwei Diener ein paar weitere Pferde an den Köpfen hielten.
Hornblower wurde sich darüber klar, daß er jetzt dazu verurteilt war, in seiner Galauniform einen Ritt zu unternehmen.
Immerhin hatte eine solche Zumutung heute für ihn nicht mehr die ernsten Folgen von früher, er dachte mit Behagen an das Dutzend Paar seidener Strümpfe, das auf der Nonsuch wohlverwahrt in Reserve lag. Essen stieg in den Sattel, und Hornblower folgte seinem Beispiel. Der strahlend helle Mond tauchte den ganzen Platz in sein klares Licht, als sie an der Spitze ihrer Eskorte klappernd über das Kopfpflaster trabten. Es ging um zwei Häuserecken und durch eine Straße, die mäßig bergab führte. Dann langten sie an der riesigen Schiffsbrücke an, die die Düna überspannte. Der Brückenbelag über den Pontons dröhnte hohl unter den Hufen der Gäule. Auf der anderen Seite lief der Weg auf einem hohen Steilufer entlang, das Land jenseits der Straße war von Gräben eingesäumt und durchschnitten, überall sah man Teiche und Tümpel, um die unzählige Lagerfeuer blinkten. Hier machte Essen halt und befahl dem Husarenoffizier, mit der halben Eskorte die Spitze zu nehmen.
»Ich habe keine Lust dazu, mich von meinen eigenen Leuten über den Haufen schießen zu lassen«, erklärte er dann, »die Wachen sind natürlich nervös, und in ein Dorf einzureiten, das gerade erst einen Nachtangriff hinter sich hat, ist sicher genauso gefährlich wie ein Sturmangriff auf eine Batterie.« Hornblower war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als daß er dieser Sorge große Aufmerksamkeit hätte schenken können. Es fiel ihm ohnehin schwer, sich im Sattel zu halten, und der Säbel, das Ordensband, der Stern und der Dreimaster machten ihm seine Aufgabe nur noch schwerer. Wie er da hopsend auf seinem Gaul saß, bot er wirklich alles andere als eine gute Figur. Trotz der nächtlichen Kühle vergoß er Ströme von Schweiß, und sobald er
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