Hornblower 09 - Lord Hornblower
merkwürdige Gerüchte um«, begann der Graf. Er saß straff und aufrecht auf seinem Stuhl und schien frisch und lebhaft wie immer. »Ich wollte nur das Fest nicht stören, sonst hätte ich schon eher mit Ihnen darüber gesprochen. Die Leute erzählen, Bonaparte sei aus Elba entkommen und in Frankreich gelandet.«
»Das ist in der Tat merkwürdig«, stimmte Hornblower etwas müde bei, es dauerte einige Zeit, bis sein benebelter Kopf imstande war, die Bedeutung dieser Nachricht ganz zu erfassen.
»Was kann er vorhaben?«
»Er erhebt neuerlich Anspruch auf den französischen Thron.«
»Dabei ist noch kein Jahr vergangen, seit ihn das Volk zur Abdankung zwang.«
»Das ist richtig. Vielleicht will uns Bonaparte das Problem selbst lösen, über das wir uns vor ein paar Tagen unterhielten.
Der König wird ihn ohne Zweifel an die Wand stellen, wenn er seiner habhaft werden kann, damit ist dann allen neuen Intrigen und Störungsversuchen ein Ende bereitet.«
»Jawohl, so ist es.«
»Man mag mich töricht schelten, aber es wäre mir doch lieber gewesen, wenn die Nachricht von Bonapartes Tod zusammen mit der von seiner Landung eingetroffen wäre.«
Der Graf machte einen sehr ernsten Eindruck. Dieser Umstand bereitete Hornblower doch einige Unruhe, weil er des Grafen scharfes Auge in politischen Dingen nur zu gut kannte.
»Was für Befürchtungen hegen Sie denn, Monsieur?« fragte Hornblower, dem es allmählich gelungen war, seine Gedanken zu sammeln.
»Ich fürchte, daß er überraschende Erfolge hat. Sie kennen doch die Zaubermacht seines Namens, und der König - vielleicht waren auch seine Ratgeber schuld - hat nach seiner Thronbesteigung leider nicht so besonnen gehandelt, wie man hätte wünschen mögen.« Sie mußten das Gespräch beenden, weil Marie heiter und glückstrahlend das Zimmer betrat, und setzten es auch nicht mehr fort, als sie ihre Plätze wieder eingenommen hatten. Während der nächsten beiden Tage gab es immer wieder Augenblicke, in denen sich Hornblower einer leichten Unruhe nicht erwehren konnte, obwohl die einzige Nachricht, die in dieser Zeit einging, nicht mehr brachte als eine Bestätigung der Gerüchte über die Landung, ohne alle näheren Einzelheiten. Diese unbestimmte Besorgnis legte sich wohl wie ein Schatten auf sein Glück, aber was verschlug ihm das, sein Glück kannte ja keine Grenzen, und es bedurfte schon mehr als eines bloßen Schattens, ihm ernstlich Abbruch zu tun. Das köstliche Frühlingswetter, die Spaziergänge unter den blühenden Obstbäumen und entlang der rauschenden Loire, die Ritte durch den Wald - wie war es möglich, daß sie ihm so viel Freude machten, da ihm doch das Reiten von jeher ein Greuel gewesen war? - Ja, sogar die Fahrten nach Nevers zu offiziellen Besuchen, die seine Stellung von ihm verlangte, all das fügte sich zu einer Kette goldener Stunden, deren jede für sich ein kostbares Kleinod war. Furcht vor Bonaparte vermochte diese Herrlichkeit nicht zu trüben, das vermochte ja nicht einmal die stille Sorge, mit der er jenem Brief aus Wien entgegensah, der doch unweigerlich eines Tages kommen mußte. Äußerlich beurteilt konnte sich Barbara nicht beklagen, sie war nach Wien gefahren, und Hornblower stattete während ihrer Abwesenheit seinen Freunden einen Besuch ab. Aber Barbara sah bestimmt tiefer. Wahrscheinlich schwieg sie sich aus, aber man konnte sicher sein, daß sie alles wußte.
So groß Hornblowers Glück auch war, er konnte ihm nie ungehemmt die Zügel schießen lassen, wie Brown das konnte.
Hornblower beneidete Brown darum, daß er seine Liebe so ohne Scheu in aller Öffentlichkeit zur Schau tragen durfte. Er selbst und Marie mußten ja immer ein bißchen auf ihrer Hut sein, ein bißchen heimlich tun, und überdies machte ihm des Grafen wegen auch sein Gewissen etwas zu schaffen. Aber er konnte auch so glücklich sein, glücklicher, als er in seinem ganzen gequälten Dasein je gewesen war. Zum ersten Male in diesem Leben konnte er sich der gewohnten Selbstprüfung unterziehen, ohne fortwährend peinliche Entdeckungen zu machen. Zum ersten Male war er seiner selbst so sicher, wie er Mariens sicher war. Und diese Erfahrung war für ihn so unerhört neu und einschneidend, daß sie jede Befürchtung und Unruhe wegen der Zukunft zu überlagern, zu ersticken vermochte.
Er brachte es jetzt fertig, ruhig und friedlich dahinzuleben, bis die Gefahr ihm wirklich auf den Leib rückte, im Gegenteil, hätte sein Glück noch eines besonderen Reizes,
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