Hornblower 09 - Lord Hornblower
einmal kühl gegeneinander abzuwägen. Er kam zu dem Ergebnis, daß ein bißchen exaltierter Überschwang nicht ausreichte, nicht lange genug vorhielt, um die müden Beine der Männer in Schwung zu halten.
Einige von ihnen konnten buchstäblich nicht weiter. Nein, es hatte keinen Zweck. Wenn der morgige Tag dämmerte, hatte er höchstens noch sechs Mann bei sich, das wußte er. Dann war nur kostbare, unwiederbringliche Zeit verloren.
»Ich danke euch«, sagte Hornblower. »Ich werde dir deine Treue nicht vergessen, Freund Fermiac. Aber jetzt müssen wir reiten, und zwar ohne Verzug. Wir sind zu viert und haben sechs Pferde, das gibt uns gute Aussicht, zu entkommen. Du aber geh zu deiner Frau zurück, Fermiac, und versuch es einmal, ihr am Samstagabend die Prügel zu ersparen.«
Mit dieser Bemerkung erntete er trotz aller Tragik dieses Augenblicks noch ein Gelächter. Das war ihm recht, denn es trug dazu bei, die dumpfe Verzweiflung zu verscheuchen, und er wünschte sich im Hinblick auf die Zukunftsmöglichkeiten, daß die Leute jetzt besonnen und mit klaren Köpfen auseinander gingen. Und doch ahnte er schon, daß aus dieser Zukunft nie Wirklichkeit werden würde. Er ahnte es nicht nur, er wußte es in tiefster Seele, sein ganzes Wesen war durchdrungen von der Überzeugung, daß es aus, endgültig aus war. Er wußte es , während er den Befehl gab, den Packpferden die Traglasten abzunehmen, ja sogar, während er Brown mit grausamen Worten dazu drängte, Annette zurückzulassen, damit wenigstens die in Sicherheit war. Für ihn selbst gab es nur noch den Tod, vielleicht stand Brown das gleiche Schicksal bevor. Und Marie, ach, die gute, liebe Marie... Ein Sturm von Gefühlen raste durch seine Seele, Rührung, Mitleid, Selbstverachtung, Unsicherheit, Furcht und Reue brandeten gleich Wogen in ihm auf, nur seine Liebe blieb von diesem Aufruhr unberührt und gewann immer mehr Macht über ihn. Es war so, daß ihr geliebter Name jeden seiner Gedanken begleitete, daß ihm bei allen Vorstellungen, die sich in seinem Geiste formten, stets auch ihr liebes Bild vor Augen stand. Marie - du süßestes geliebtestes Wesen! Sie führte das eine der freien Pferde, Brown das andere, die vier besten von den sechs hatten sie als Reitpferde ausgewählt. Die Tiere rutschten und stolperten in dem steinigen Ufergelände, bis sie endlich den Pfad erreichten, der auf der Uferhöhe den Fluß entlangführte. Mutlos und niedergeschlagen ritten sie im Schritt durch die nächtliche Finsternis. Hornblower konnte sich vor Müdigkeit kaum im Sattel halten, dazu befielen ihn jetzt auch noch Schwindel und Übelkeit, so daß er sich am Sattelknopf festhalten mußte, um nicht vom Pferd zu stürzen. Als er für eine Sekunde die Augen schloß, hatte er sogleich das Gefühl, als glitte er einen endlosen, glatten Hang hinunter, so wie er damals vor vier Jahren mit dem Boot die Stromschnelle der Loire hinabgeschossen war. Als er wieder zu sich kam, hatte er schon fast den Halt verloren, mit einem Ruck richtete er sich auf und klammerte sich wie ein Ertrinkender an seinen Sattelknopf.
Unten, am Fuß des Hanges, hatte er Marie erblickt, die ihn dort mit liebestrahlenden Augen erwartete.
Er schüttelte diese Wahnvorstellung von sich ab. Es war höchste Zeit, einen vernünftigen Plan zu machen und zu überlegen, wie sie am besten entkamen. Dazu stellte er sich im Geist das Kartenbild der Gegend vor und merkte darin alles an, was er über die Verteilung der fliegenden Abteilungen Clausens in Erfahrung gebracht hatte. Ihre Sperrlinie bildete etwa einen Halbkreis, der sich an den Fluß als Durchmesser anlehnte. Er selbst befand sich zur Zeit in der Mitte dieses Durchmessers.
Bisher hatte er sich in dieser gefährlichen Lage an die Hoffnung geklammert, daß es ihm möglich sein werde, mit Hilfe der von Marie bezeichneten Furt über den Fluß zu entkommen. Ein Halbbataillon der 14. Legers war ihnen, wie er erfahren hatte, hart auf den Fersen. Offenbar hatten diese Truppen Befehl, ihm nachzusetzen, während ihm die anderen den Weg verlegen sollten. Bei Anbruch der Nacht war dieses Halbbataillon wahrscheinlich sechs bis sieben Meilen hinter ihm gewesen, hoffentlich hatte sein Chef nicht befohlen, den Marsch auch nachts fortzusetzen, was nur zu leicht möglich war. Sollte er nun versuchen, den Ring, der um sie gezogen war, zu durchbrechen, oder war es besser, wenn sie über den Fluß zu entkommen trachteten?
Das Pferd des Grafen, der vor ihm ritt, stürzte plötzlich
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