Hornblower 09 - Lord Hornblower
das Kriegsgericht«, sagte er. »Wünschen Sie jetzt etwas zu essen?«
»Gewiß«, sagte Hornblower.
Sie brachten ihm eine Omelette, Brot, Wein und Käse. Kein Gedanke, daß jemand seine Mahlzeit mit ihm geteilt hätte. Sie saßen nur da und starrten jedem Bissen nach, den er zum Munde führte. Er hatte seit langer Zeit nichts mehr gegessen und verspürte jetzt, da er sauber gewaschen war, einen wahren Wolfshunger. Mochten sie ruhig starren, er wollte essen und trinken. Der Wein schmeckte köstlich, er genoß ihn in durstigen Zügen. »Der Kaiser hat vergangene Woche zwei große Siege erfochten«, sagte der Adjutant plötzlich und zerstörte damit Hornblowers gelassene Stimmung. Hornblower wollte sich gerade mit der Serviette den Mund wischen, jetzt hielt er mitten in der Bewegung inne und starrte den anderen an. »Ihr Wellington«, fuhr der Adjutant fort, »hat endlich auch seinen Meister gefunden. Ney hat ihn bei Quatre-Bras, einem Ort südlich Brüssels, entscheidend geschlagen, am gleichen Tage hat Seine Majestät selbst Blücher und die Preußen bei Ligny besiegt, also der Karte nach auf dem alten Schlachtfeld von Fleurus. Diese beiden Siege werden genauso entscheidende Folgen haben wie damals Jena und Auerstädt.« Hornblower zwang sich dazu, sich mit anscheinender Ruhe weiter den Mund zu wischen. Dann ging er daran, sich umständlich noch ein Glas Wein einzuschenken. Er spürte deutlich, wie der Adjutant sich über die offenkundige Gleichgültigkeit ärgerte, mit der er sein Los hinnahm, und mit seiner Mitteilsamkeit nur den Zweck verfolgte, den Panzer seiner stoischen Haltung zu durchbrechen.
Sogleich versuchte er einen Gegenangriff.
»Auf welchem Wege hat Sie diese Nachricht erreicht?« fragte er und verriet dabei nichts als höfliches Interesse.
»Die amtliche Verlautbarung ist vor drei Tagen hier eingetroffen. Der Kaiser war da bereits in Eilmärschen nach Brüssel unterwegs.«
»Dann spreche ich Ihnen meinen aufrichtigen Glückwunsch aus, Monsieur. Ich hoffe für Sie, daß Ihre Nachrichten stimmen.
Mir fällt dabei nämlich ein Scherzwort ein, das in Ihrer Armee im Schwange sein soll. Pflegt man bei Ihnen nicht angesichts einer groben Unwahrhaftigkeit zu sagen: Erlogen wie ein amtlicher Bericht?«
»Dieser Bericht stammt unmittelbar aus dem Hauptquartier Seiner Majestät«, entgegnete der Adjutant gereizt.
»Dann ist natürlich kein Zweifel möglich, daß er stimmt.
Wollen wir hoffen, daß Ney bei seiner Siegesmeldung an den Kaiser kein Irrtum unterlaufen ist. Wenn er nämlich Wellington wirklich geschlagen hat, dann wäre das eine höchst bemerkenswerte Umkehrung des geschichtlichen Ablaufs. In Spanien hat Wellington ja des öfteren Ney besiegt und nicht nur ihn, sondern auch Massena, Soult, Victor, Junot und alle die anderen.« Der Adjutant konnte nicht verbergen, wie sehr ihn diese Bemerkung wurmte.
»An diesem Sieg gibt es keinen Zweifel«, sagte er und fügte dann bissig hinzu: »Paris wird am gleichen Tage vom Einmarsch des Kaisers in Brüssel und von der endgültigen Unterdrückung der Räuberbande im Nivernais erfahren.«
»Ach, Sie haben Räuber im Nivernais?« fragte Hornblower höflich und zog dabei erstaunt die Augenbrauen hoch. »Das tut mir aber aufrichtig leid - ich muß allerdings gestehen, daß ich auf meinen Reisen hier im Lande keinem begegnet bin.«
Jetzt ärgerte sich der Adjutant erst recht, das war ihm deutlich vom Gesicht abzulesen. Hornblower schlürfte, zufrieden mit diesem Erfolg, einen Schluck Wein. Der Wein und seine leichtfertig gehobene Stimmung bewirkten wohl zusammen, daß ihn das bevorstehende Todesurteil sowenig zu schrecken vermochte. Der Adjutant erhob sich und verließ sporenklirrend die Zelle, Hornblower schob seinen Stuhl zurück und streckte mit einer Geste wohligen Behagens, die nur teilweise gespielt war, seine Beine von sich. So saßen sie geraume Zeit schweigend beieinander, er und seine drei Aufpasser, bis endlich das Gerassel der Riegel verkündete, daß wieder jemand erschien.
»Das Gericht wartet, kommen Sie«, sagte der Adjutant. Kein allgemeines Wohlbefinden konnte Hornblower darüber hinwegtäuschen, daß seine wunden Füße elend schmerzten. Er versuchte zwar, beim Gehen einigermaßen Haltung zu bewahren, brachte aber doch nur ein jämmerliches Hinken zuwege. Dabei fiel ihm ein, welche Schmerzen ihm gestern jedes Mal die ersten hundert Meter nach einer Ruhepause verursacht hatten, bis das Gefühl in den Füßen wieder erstorben war. Der
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