Hornblower 09 - Lord Hornblower
Schrittes auf sie zu. »Der General erwartet Sie«, sagte er. »Folgen Sie mir«, sagte der Husarenoffizier.
Zwei Soldaten faßten Hornblower unter den Armen und drängten ihn zu gehen, doch abermals verweigerten ihm die Beine den Dienst. Er war einfach nicht imstande, irgendeinen Muskel zusammenzuziehen, und seine wunden Füße schreckten vor jeder Berührung mit der harten Erde zurück. Nun versuchte er, einen Schritt zu tun, aber die Knie gaben unter ihm nach. Die Husaren hielten ihn aufrecht, wieder schickte er sich an zu gehen, auch diesmal ohne Erfolg - er schlenkerte mit den Beinen wie ein fußmüder Gaul, schließlich war ihm ja auch nicht viel anders zumute. »Los, beeilt euch!« fuhr der Offizier sie an.
Die Husaren hielten ihn untergefasst und schleppten ihn jetzt einfach mit. Er versuchte bald zu gehen, bald ließ er seine Beine einfach nachschleifen. So ging es in einer von Säulen gestützten Halle eine kurze Marmortreppe empor und dann in ein holzgetäfeltes Zimmer, in dem der General Clausen an einem Tisch saß. Er war ein Elsässer, von massiger Gestalt, mit vorstehenden, blauen Augen, roten Backen und struppigem, rotem Schnurrbart. Als er die drei Wracks von Männern sah, die man da zu ihm ins Zimmer schleppte, traten ihm die blauen Augen noch etwas weiter aus dem Gesicht. Mit unverhohlener Überraschung ließ er seinen Blick von einem zum anderen wandern, der quecksilbrige Adjutant, der sich neben ihm einen Stuhl genommen hatte und sein Schreibzeug zurechtlegte, gab sich viel mehr Mühe als sein Chef, sein Erstaunen zu verbergen.
»Wer sind Sie?« fragte der General. Nach kurzer Pause sprach der Graf als erster:
»Louis Antoine Hector Savinien de Ladon, Comte de Gracay«, sagte er mit stolz erhobenem Haupt. Die runden blauen Augen wandten sich zu Brown. »Und Sie?«
»Mein Name ist Brown.«
»Ach so, Sie sind der Diener, der einer der Rädelsführer war.
Und wer sind Sie?«
»Horatio Lord Hornblower.« Seine Stimme klang seltsam heiser und tonlos, als er das sagte. Die Kehle war ihm völlig ausgedörrt. »Lord Hornblower, le Comte de Gracay«, sagte der General und blickte sie abwechselnd an. Er kleidete zwar seine Gedanken nicht in Worte, aber sein Blick verriet sie deutlich genug. Hier stand das Oberhaupt der ältesten Familie Frankreichs und neben ihm der bewährteste jüngere Seeoffizier der britischen Flotte - zwei erschöpfte, zerlumpte Landstreicher.
»Das Kriegsgericht, das Sie abzuurteilen hat, wird heute Abend zusammentreten«, sagte der General, »Sie haben also den Tag über Zeit, Ihre Verteidigung vorzubereiten.«
Er vermied es, hinzuzufügen, »für den Fall, daß Ihnen überhaupt die Möglichkeit gegeben wird, Ihre Sache zu vertreten«. Da kam Hornblower ein Gedanke. Er zwang sich zum Sprechen. »Dieser Brown, Monsieur, ist ein Kriegsgefangener. Ich mochte das ausdrücklich betonen.«
Die gewölbten blonden Augenbrauen des Generals wölbten sich noch höher.
»Er ist Seemann in Seiner Britischen Majestät Flotte, ich bin sein Vorgesetzter, und er hat stets unter meinem Befehl gehandelt. Das Kriegsgericht ist daher in seinem Falle nicht zuständig. Brown ist nach Recht und Gesetz ein Kombattant.«
»Er hat mit den Rebellen gemeinsame Sache gemacht.«
»Das tut nichts zur Sache, Monsieur. Er ist ein Angehöriger der bewaffneten Streitmacht der Britischen Krone und bekleidet den Rang eines... eines...«
Hornblower wollte ums Leben nicht einfallen, was »Bootsteuerer« auf französisch hieß, so begnügte er sich schließlich notgedrungen mit dem englischen Ausdruck. Die blauen Augen wurden plötzlich schmäler. »Das ist der gleiche Einwand, mit dem Sie sich wohl auch selbst vor dem Kriegsgericht zu verteidigen gedenken«, sagte Clausen. »Aber er wird Ihnen nichts nutzen.«
»Ich denke nicht an meine eigene Verteidigung«, sagte Hornblower in so aufrichtigem Ton, daß seine Worte überzeugend wirkten. »Ich denke jetzt nur an Brown. Sie können keine Anklage gegen ihn erheben. Da Sie selbst Soldat sind, werden Sie hoffentlich dafür Verständnis haben.« Diese Unterhaltung war ihm so wichtig, daß er darüber seine Müdigkeit, ja sogar die Gefahr vergaß, die ihn selbst unmittelbar bedrohte. Seine echte und aufrichtige Sorge um Browns Wohlergehen machte auf Clausen sichtlich Eindruck, er konnte sich der Wirkung der Worte nicht entziehen, mit denen sich hier ein aufrechter Mann, der selbst an der Schwelle des Todes stand, für seinen Untergebenen ins Mittel legte. Der
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