Hornblower 10 - Hornblower in Westindien
Eine Frau gegen ihren Willen überzeugen zu wollen, war und blieb eben ein hoffnungsloses Beginnen. Sie dachte nicht daran, ihre Ansicht aufzugeben. Barbara hatte das nicht etwa ausgesprochen, sie hatte etwas ganz anderes gesagt, Worte, die sich, wie immer bei ihr, viel besser in die Gegebenheiten des Augenblicks fügten. Sie hatte ihn mit keinem Wimperzucken, keiner noch so leisen Änderung ihres Tonfalls merken lassen, daß sie in dem vorliegenden Fall seine Tontaubheit immerhin für erwähnenswert gehalten hätte. Eine Frau geringeren Formats als Barbara hätte gerade dieses Argument nach Kräften ausgeschlachtet, obwohl ihm in Wirklichkeit überhaupt keine Bedeutung zukam. Sie wußte um seine Tontaubheit, er wußte, daß sie darum wußte, das wiederum war ihr nicht unbekannt und so weiter ad infinitum.
Und doch hatte weder er über seinen Defekt noch sie über ihr Wissen darum je ein Wort zu verlieren brauchen, und daraus schöpfte seine Liebe immer neue Nahrung.
Am folgenden Morgen mußte er sich darauf besinnen, daß ein Oberbefehlshaber in Westindien immer noch allerlei Aufgaben zu erledigen hatte, wenn auch seine Ablösung unmittelbar bevorstand, wenn auch seine geliebte Frau eben erst zu ihm geeilt war. Aber es war dann doch eine Freude, als ihm Barbara durch den Garten des Admiralitätsgebäudes bis zur Pforte im hohen Werftzaun das Geleit gab. Es traf sich, daß Hudnutt gerade auf seinem Spaziergang auf der anderen Seite des Zauns vorüberkam, als Evans das Gatter aufriß. Er marschierte gleich hinter dem Zaun auf und ab und wurde dabei von einer Gruppe Seesoldaten eskortiert, die von einem Unteroffizier geführt war.
Die Wache trug Paradeuniform und hatte die Bajonette aufgepflanzt, Hudnutt war ohne Kopfbedeckung, wie es für einen Angeklagten Vorschrift war. »Gefangener und Wachkommando - Halt!« brüllte der Unteroffizier, als er des Admirals ansichtig wurde. »Wache, präsentiert das - Gewehr!«
Hornblower beantwortete den Gruß in aller Form und wandte sich erst dann zu seiner Frau, um sich von ihr zu verabschieden.
»Wache, das Gewehr - über!« schrie der Korporal nach Seesoldatenart, als ob seine kleine Einheit am anderen Ende der Werft und nicht nur zwei Meter vor ihm gestanden hätte.
»Ist dies der Spielmann Hudnutt, Liebling?« fragte Barbara.
»Ja«, sagte Hornblower.
»Gefangener und Wachkommando - rechts schwenkt - im Gleichschritt - marsch!« brüllte der Korporal, und die kleine Gruppe marschierte davon. Barbara folgte ihr mit dem Blick - jetzt, da ihr Hudnutt den Rücken zukehrte und nichts davon merkte, konnte sie ihn ohne Scheu ins Auge fassen. Eben noch hatte sie sich geflissentlich jedes neugierigen Blicks auf den Jungen enthalten, dem in den nächsten Tagen ein Gerichtsverfahren auf Leben und Tod bevorstand. Jetzt sah sie seine schlaksigen, unfertigen Bewegungen, die auch die knappe Seesoldatenuniform nicht verbergen konnte, und seinen blonden Haarschopf, der hell in der Sonne leuchtete.
»Mein Gott, er ist ja noch ein halbes Kind!« meinte Barbara.
Das war wieder so ein Argument, das überhaupt nicht ins Gewicht fiel, wenn sie mit ihrem Mann über die Grenzen seiner Pflicht rechten wollte. Ob siebzehn oder siebzig, ein Befehl mußte ausgeführt werden. »Ja, es stimmt, Liebling, er ist noch sehr jung.« Er küßte die Wange, die ihm Barbara darbot, und hatte dabei ernste Zweifel, ob sich das für einen Admiral in Gegenwart seines Stabes geziemte, aber Barbara trug offenbar nicht die geringsten Bedenken. Dann wandte er sich ab und ging davon, während sie noch mit Evans plaudernd an der Gartenpforte zurückblieb und den seltsamen Gegensatz zwischen dem herrlichen Garten diesseits und dem nüchternen Werftgelände jenseits des Zauns in sich aufnahm.
Die Gegenwart seiner Frau machte ihn glücklich, obwohl sie eine Menge zusätzlicher Verpflichtungen bedeutete. Die nächsten zwei bis drei Tage folgte eine Einladung der anderen, die Elite der Insel wollte die kurze Anwesenheit der Gattin eines Admirals so gründlich wie möglich auskosten, einer Frau, die überdies eine richtige Peeress von England war und in deren Adern das blaueste Blut des Vereinigten Königreichs rollte.
Hornblower dachte voll Schwermut an das bevorstehende Ende seines schönen Kommandos, er fühlte sich fast ein wenig wie jene Aristokraten in der Französischen Revolution, die bei Tanz und Spiel den Ruf zur Guillotine erwarteten. Barbara dagegen genoß diese Tage mit vollen Zügen, vielleicht empfand
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