Hornblower 10 - Hornblower in Westindien
wollte.
Als sich die Mahlzeit ihrem Ende näherte, fing Hornblower einen kurzen Blick Barbaras auf, einen einzigen, so flüchtigen Blick, daß ihn Ransome unmöglich bemerkt haben konnte. Aber Hornblower verstand sofort, was sie wollte. Sie rief ihm eine Angelegenheit ins Gedächtnis, die ihr besonders am Herzen lag.
Er wartete nur noch, bis das Gespräch eine geeignete Wendung nahm, dann griff er das Thema auf.
«Ach richtig«, sagte er, »Sie werden ja bald ein Kriegsgericht einberufen müssen. Es handelt sich um einen Spielmann der Seesoldaten...«
Er erzählte Ransome den Fall in allen Einzelheiten und bemühte sich dabei, ihn möglichst harmlos darzustellen. Dabei entging ihm nicht, wie aufmerksam Barbara in Ransomes Miene forschte. Ransome selbst schien nichts davon zu bemerken.
»Wiederholter und vorsätzlicher Ungehorsam gegen einen dienstlichen Befehl«, sagte Ransome mit Hornblowers eigenen Worten und fügte dann hinzu, »man könnte das Verhalten des Mannes sogar als Meuterei bezeichnen.«
»Ja«, sagte Hornblower, »aber der ganze Fall ist doch recht merkwürdig gelagert. Ich bin jedenfalls froh, daß Sie statt meiner darüber zu befinden haben.«
»Nun, wie mir scheint, liegt die Schuld des Angeklagten klar auf der Hand.«
»Ohne Zweifel.« Hornblower zwang sich ein Lächeln ab, wie durch Gedankenübertragung wußte er, mit welcher Spannung Barbara das Gespräch verfolgte. »Aber die Umstände sind immerhin ungewöhnlich.« Ransomes unnahbarer Ausdruck wirkte entmutigend. Hornblower wußte nur zu genau, daß es ganz sinnlos war, weiter in den Mann zu dringen. Er hätte es auch aufgegeben, wenn Barbara nicht gewesen wäre. Nur ihr zuliebe setzte er seine fruchtlosen Bemühungen fort. »Wäre das Gericht noch unter meinem Kommando zusammengetreten, so hätte ich sein Urteil in Anerkennung der guten Führung des Geschwaders wahrscheinlich gemildert - womit ich allerdings nicht sagen will, daß ich schon dazu entschlossen war.«
»So?« sagte Ransome. Nichts hätte seinen Mangel an Interesse deutlicher zum Ausdruck bringen können als diese einsilbige Antwort. Aber Hornblower bohrte unverdrossen weiter. »Ich dachte mir, dieser Fall könnte Ihnen Gelegenheit geben, gleich zu Beginn Ihres Kommandos Ihre milde, menschenfreundliche Gesinnung zu bekunden.«
»Über eine solche Maßnahme hätte ich ganz allein zu entscheiden.«
»Aber selbstverständlich«, stimmte ihm Hornblower bei. »Ich könnte mir auch kaum vorstellen, daß ich mich zu einem derartigen Schritt versteigen würde. Soll ich die Leute zu dem Glauben verleiten, daß ich in der Handhabung der Mannszucht lax sei? Damit würde ich mir meine Stellung hier von Anfang an untergraben.«
»Selbstverständlich«, sagte Hornblower von neuem. Da er sah, daß alles weitere Reden zwecklos war, schien es ihm das beste, sich mit Anstand aus der Affäre zu ziehen. »Sie können natürlich am besten entscheiden, was unter den gegebenen Umständen zu geschehen hat, und sind auch als einziger dazu befugt.«
»Ich lasse die Herren jetzt allein«, sagte Barbara ganz unvermittelt. Hornblower blickte grade noch rechtzeitig zu ihr auf, um zu sehen, wie sich ihr undurchdringlicher Ausdruck zu jenem Lächeln löste, das er so gut an ihr kannte. »Ihnen, Herr Admiral, wünsche ich eine recht geruhsame Nacht. So weit es die Vorschriften der Navy erlauben, werde ich mir alle Mühe geben, Ihnen dieses Haus, das Sie morgen übernehmen, im besten Zustand zu hinterlassen und hoffe, daß Sie sich in seinen Mauern recht wohlfühlen.«
»Danke, danke«, sagte Ransome. Die beiden Männer waren zum Abschied von ihren Stühlen aufgesprungen. »Gute Nacht, mein Lieber«, sagte Barbara zu Hornblower. Ihr Lächeln machte ihm einen gezwungenen Eindruck, er merkte deutlich, daß sie furchtbar aufgeregt war. Sie verließ die beiden Männer, Hornblower reichte den Portwein, und dann begannen die beiden eine Unterhaltung, die sich bis spät in die Nacht hinein hinzog. Ransome hatte seinen Standpunkt unzweideutig klar gemacht und vor allem keinen Zweifel darüber gelassen, daß er für Vorschläge und Anregungen seines Vorgängers nicht zu haben war. Nachdem das einmal feststand, war er durchaus nicht abgeneigt, allen Informationen, die ihm gesprächsweise zuflossen, sein Ohr zu leihen. Auch dem Portwein sprach er eifrig zu und hatte nichts dagegen, daß eine zweite Flasche angebrochen wurde, als die erste zu Ende war. Hornblower kam also sehr spät zu Bett, er verzichtete auf
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