Hornblower 10 - Hornblower in Westindien
eine Weile nicht in Anspruch nahm. Dort im Deckshaus hatte sie also nicht nur gesagt, daß sie ihn liebte, nein, sie hatte ihm darüber hinaus versichert, sie hätte nie einen anderen Mann geliebt. Was scherte es ihn jetzt noch, daß er mit Leinen festgezeist an Deck eines lecken Schiffes hing und daß ihm der Hurrikan wütend um die Ohren pfiff, denn nun war ja die alte Wunde geheilt, nun brauchte er, solange er lebte, nie mehr die Qual der Eifersucht auf Barbaras ersten Mann zu leiden.
Das war genug des Guten, um ihn gleich wieder ins Jetzt mit seinen Nöten und Aufgaben zurückzurufen. Wer konnte sagen, wie lange er noch zu leben hatte? Vielleicht war die Zeit, die ihm noch blieb, nach Stunden zu messen. Man durfte eher annehmen, daß er am Abend, spätestens aber morgen früh tot war, als daß ihm Besseres widerfuhr. Und Barbara stand natürlich das gleiche bevor - genau das gleiche. Das winzige Glück, das eben in seinem Herzen aufgeblüht war, hatte damit sofort wieder ein Ende. An seine Stelle trat nachtschwarzes Leid und eine Verzweiflung, die ihn fast überwältigte. Er mußte alle Willenskraft aufbieten, um wieder Herr über seinen ermatteten Körper und seinen müden Geist zu werden, oblag es ihm doch, weiter zu handeln und weiter zu denken, als ob er nicht zu Tode erschöpft und in innerster Seele verzweifelt wäre. Die Feststellung, daß das Bordmesser immer noch an seinem Handgelenk baumelte, erweckte in ihm jenes Gefühl der Selbstverachtung, das ihn von jeher am wirksamsten anzuspornen pflegte. Er löste das Bändsel und schob das Messer wieder in die Scheide, dann verfolgte er genau, wie die Pretty Jane arbeitete.
Im geeigneten Augenblick warf er die haltende Leine los und eilte zum Großmast. Die ungeheure Kraft des Windes hätte ihn vielleicht glatt bis zum Heck und über Bord geblasen, wenn das aufwärtsstrebende Achterschiff sein Tempo nicht so weit abgebremst hätte, daß er sich in Lee zu der Menschengruppe am Großmast flüchten und dort Halt an einer der Leinen finden konnte. Die Männer, die er vorfand, hingen alle apathisch in ihren Stroppen, sie hatten keinen Blick für ihn übrig und rührten kein Glied, um ihm zu helfen. Nur Barbara, deren nasses Haar wie eine Flagge seitwärts wehte, schenkte ihm ein Lächeln und reichte ihm ihre Hände. Er zwängte sich mit Gewalt zwischen die Männer neben ihr und knotete sich neben ihr fest. Dann nahm er ihre Hand wieder in die seine und fühlte tief beglückt, wie sie seinen Druck erwiderte. Außer am Leben zu bleiben, gab es nun fürs erste nichts mehr zu tun. ›Am Leben bleiben‹, dazu gehörte, daß man beileibe nicht daran dachte, wie durstig man war und wie der Durst immer ärger wurde, während sich der Tag allmählich neigte und das gelbe Zwielicht in neue Finsternis überging. Es war schwer genug, diese Vorstellung von sich zu weisen, einmal schon hatte er festgestellt, wie durstig er war, und nun quälte ihn plötzlich der Gedanke, daß Barbara das gleiche auszustehen hatte. Und er konnte nichts, aber auch rein gar nichts tun, um ihr zu helfen, außer daß er festgebunden neben ihr stand und mit ihr weiterlitt. Mit Anbruch der Nacht verlor der Wind plötzlich seine Backofenhitze und wehte nun kühl, ja fast kalt, so daß es Hornblower zu frösteln begann. Er drehte sich in dem Stropp, der ihn am Mast hielt, legte seine Arme fest um Barbara und zog sie an sich, um sie warm zu halten. In der Nacht fiel ihm sein Nebenmann äußerst lästig, weil er sich hartnäckig und immer gewichtiger gegen ihn lehnte, so daß er Barbara wiederholt loslassen mußte, um den anderen, so gut es ging, von sich wegzuschieben. Beim dritten oder vierten Mal fiel ihm auf, daß der Mann völlig kraftlos zur Seite fiel. Das konnte nur bedeuten, daß er tot war. Damit fand er nun am Mast etwas mehr Raum, er konnte Barbara mit dem Rücken dagegen lehnen, so daß sie einen Halt für ihre Schultern fand.
Wenn er an seine eigenen Beinkrämpfe und an seine entsetzliche allgemeine Müdigkeit dachte, konnte er sich vorstellen, daß ihr diese neue Stellung einige Erleichterung bot. Erst leise, dann immer lauter meldete sich die Stimme des Versuchers: ›Gib es auf, laß dem Schicksal seinen Lauf, wirf dich an Deck und stirb wie der Mann da neben dir.‹ Aber er wollte nicht nachgeben, um keinen Preis, nicht um sich selbst zu retten, sondern um der Frau willen, die er in den Armen hielt, nicht aus Stolz und Trotz, sondern aus Liebe. Mit dem Sinken der Temperatur ließ auch
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