Hornblower 10 - Hornblower in Westindien
sie ergossen.
Als ob es nichts Besseres zu sehen und zu bedenken gegeben hätte als dieses dumme Hemd! Was bedeutete allein die nüchterne Feststellung, daß der Wind jetzt rasch abflaute - die Regenbö hatte schon gezeigt, daß der Hurrikan im Abziehen war, da es fast als Regel gelten konnte, daß diese Stürme einen Schweif von wolkenbruchartigem Regen hinter sich herzogen.
Und dort, an Steuerbord vorn, zeigte sich jetzt wahrhaftig ein schwacher rosa Schimmer, nicht mehr das unheimliche Gelb des Hurrikans, sondern die Dämmerung eines freundlicher gesinnten Tages. Er tastete nach den Knoten, die ihn am Mast festhielten, und knüpfte sie ganz langsam, einen um den anderen, auf. Als die letzte Fessel gefallen war, riß ihn eine heftige Stampfbewegung nach rückwärts, so daß er das Gleichgewicht verlor und sich klatschbums auf das nasse Deck setzte. Es war herrlich, wieder zu sitzen, wenn auch hüfttief im Wasser, das immer noch über das Deck schwappte, einfach zu sitzen, ganz langsam die Knie zu beugen und zu strecken und zu fühlen, wie das Blut wieder langsam in die tauben Beine strömte. Er fühlte sich wie im Himmel, und es wäre gar der siebente Himmel gewesen, hätte er auch den Kopf niederlegen und sich dem Schlaf überlassen dürfen. Aber das durfte er beileibe nicht - trotz aller Müdigkeit nicht. Solange die geringste Aussicht blieb, daß sie diese Prüfung bestanden, galt es, Schlafbedürfnis und körperliche Müdigkeit mit stoischem Gleichmut zu ertragen, zumal jetzt ohnedies die Dämmerung des neuen Tages anbrach.
Mühsam erhob er sich wieder und wankte auf seinen wackligen Beinen an den Mast zurück. Dort band er zunächst Barbara los, sie wenigstens konnte sitzen bleiben, gleichgültig ob das Deck überflutet war oder nicht. Er schob sie vorsichtig zurecht, bis sie mit dem Rücken am Mast lehnte, und legte ihr wieder eine Leine um den Leib. In dieser Stellung konnte sie sogar schlafen.
Sie war schon so todmüde, daß sie nicht einmal den Leichnam bemerkte, der kaum einen Meter von ihr entfernt in grauenhafter Verkrümmung am Mastfuß lag - oder ließ sie sich etwa nur nicht anmerken, daß sie ihn gesehen hatte? Als nächstes schnitt er diesen Toten los und zerrte ihn unter Ausnutzung einer Schlingerbewegung des Schiffes beiseite, dann nahm er sich der drei anderen Männer an. Sie waren schon im Begriff, an den Knoten ihrer Laschings herumzuhantieren. Als Hornblower diese Leinen jetzt kurzerhand durchschnitt, krächzten sie ihm alle drei gleich entgegen: »Wasser! Wasser!«
Sie waren so hilflos wie eben ausgeschlüpfte Vögel im Nest.
Hornblower mußte erkennen, daß keiner von ihnen auf den Gedanken gekommen war, während der nächtlichen Regenbö sein Hemd mit Frischwasser durchnässen zu lassen. Man konnte wohl kaum annehmen, daß sie nicht einmal den Mund aufgesperrt haben sollten, aber damit hatten sie nicht mehr fangen können als ein paar kümmerliche Tropfen. Er suchte mit dem Blick die Kimm ab. In der Ferne waren wohl ein paar Regenböen zu erkennen, aber es ließ sich nicht voraussehen, ob sie die Pretty Jane auf ihrer Bahn überhaupt berührten und wann das gegebenenfalls geschehen konnte.
»Da werdet ihr euch leider gedulden müssen, bis es wieder regnet«, sagte er.
Jetzt begab er sich zu dem Häuflein, das sich um Ruder und Kompaß drängte. Auch hier hing ein Toter in seinen Laschings - es war Knyvett. Hornblower blickte nachdenklich auf den Leichnam und hielt ihm jetzt stillschweigend zugute, daß er angesichts des nahenden Todes nicht mehr den Entschluß gefunden habe, den Fockmast zu kappen. Ein weiterer Leichnam lag an Deck, zwischen den Beinen der sechs Überlebenden, die hier noch standen. Von der sechzehn Mann starken Besatzung waren also neun Mann übriggeblieben, vier waren offenbar spurlos verschwunden, wahrscheinlich waren sie während dieser oder der vorigen Nacht über Bord gespült worden. Hornblower sah unter den Leuten hier achtern den Zweiten Steuermann und den Steward. Auch diese Männer, sogar mit Einschluß des Steuermanns, krächzten nach Wasser und erhielten von Hornblower die gleiche hartherzige Antwort wie jene drei am Großmast.
»Werft die Toten über Bord«, fügte er hinzu. Es lag ihm vor allem daran, sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen.
Wenn er sich über die Reling beugte, sah er, daß die Pretty Jane noch etwa drei Fuß Freibord hatte, soweit sich das überhaupt schätzen ließ, da das Schiff in der immer noch mächtig
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