Hornblower 10 - Hornblower in Westindien
Augenblick höchster Bedrängnis unmöglich Beachtung schenken.
»Stell dich hierher und halte dich hier fest - Achtung, halt fest!«
Es war keine von den ganz schweren Seen, die an ihnen vorüberrauschte.
»Wart auf mein Zeichen!« schrie Hornblower in Barbaras Ohr und stürzte zum Kompaß. Ein kleines Menschenknäuel hatte sich am Ruder festgebunden. Jetzt - er blickte in äußerster Spannung um sich, dann winkte er Barbara zu, und sie querte das schwankende Deck, während er zugleich die Lose der Leine einholte. Es blieb ihm gerade noch Zeit, eine Bucht um sie zu werfen, sie dicht zu holen und selbst Halt zu suchen, als der nächste schäumende Wogenkamm über das Schiff hereinbrach.
Tiefer und immer tiefer neigte sich die Pretty Jane, erst nach endlosen Sekunden richtete sie sich träge wieder auf. Ihm war, als fehlte von dem Häuflein am Ruder mindestens ein Mann, aber jetzt war keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, denn nun galt es, Barbara an den Großmast zu bringen.
Endlich war auch das geschafft. Wohl hatten dort schon vier Mann Zuflucht gesucht, aber er fand noch genügend Platz, um Barbara und dann sich selbst so sicher wie möglich festzulaschen. Die Pretty Jane legte sich wieder platt auf die Seite, und dann, schon nach ganz kurzer Zeit, geschah es, daß ein wahres Ungetüm von See das Deckshaus samt der halben Reling über Bord riß. Hornblower sah die Trümmer in Lee verschwinden und nahm das Geschehene doch nur mit halbem Bewußtsein in sich auf. Jedenfalls hatte er recht gehabt, Barbara aus dieser Todesfalle herauszuholen.
Wahrscheinlich war der Verlust des Deckshauses an dem veränderten Benehmen der Pretty Jane schuld, das Hornblower nachgerade nicht entgehen konnte. Sie lag jetzt quer zu den anrollenden Ungeheuern und ritt nicht mehr mit dem Bug voran darüber hinweg. Das Deckshaus, das ziemlich weit achtern lag, hatte dem Wind eine erhebliche Angriffsfläche geboten, ihr Wegfall erklärte die auffallende Änderung der Lage. Die Folge war, daß das Schiff wie wahnsinnig rollte und viel, viel mehr Wasser übernahm als zuvor. Weder die Pretty Jane selbst noch die armen Menschen auf ihrem Deck, unter ihnen Barbara und Hornblower, waren dem noch lange gewachsen. Die Pretty Jane ging mit Sicherheit schon binnen kurzem aus den Fugen, wenn nichts geschah, um sie wieder mit dem Bug gegen die See zu legen. Unter einigermaßen normalen Umständen hätte ein winziges Segel auf dem Achterschiff vollauf genügt, um das zustande zubringen, aber dieser Windstärke hielt ja kein Segel mehr stand, das hatte sich bereits eindrucksvoll genug erwiesen.
So wie die Dinge lagen, wog der Winddruck auf den Fockmast und das Vorgeschirr mit ihrem stehenden Gut den auf den Großmast ungefähr auf, so daß das Schiff quer zu Wind und See liegen blieb. Wenn es schon nicht möglich war, achtern ein Segel zu setzen, dann mußte umgekehrt der Winddruck auf das Vorschiff verringert werden. Das hieß: der Fockmast mußte fallen. War dies geschehen, dann drehte der Druck auf den Großmast das Schiff wieder mit dem Bug gegen die See und verbesserte damit seine Aussicht, doch noch durchzukommen, wobei vielleicht noch ins Gewicht fiel, daß nach dem Wegfall des schweren Mastes auch die Rollbewegungen wenigstens etwas erträglicher wurden. Es gab keinen Zweifel, der Mast mußte weg, und zwar ohne Verzug.
Achtern stand Knyvett, festgelascht am Ruder, nur wenige Schritte von ihm entfernt. Er war der Kapitän, bei ihm lag die Entscheidung. Als das Deck der Pretty Jane wieder einmal einen Augenblick horizontal lag und das Wasser nicht höher stand als bis zu den Knien, winkte ihm Hornblower zu und deutete dann auf die Luvwanten des Fockmastes. Er tat seine Meinung durch Gesten kund, er dachte, er hätte sie deutlich genug zum Ausdruck gebracht, aber Knyvett gab nicht zu erkennen, daß er verstanden hatte. Jedenfalls merkte man ihm keinerlei Reaktion auf Hornblowers Vorschlag an. Er starrte ihn nur wie vor den Kopf geschlagen an und blickte dann einfach weg. Hornblower war im ersten Augenblick wütend auf den Mann, als das Schiff aber gleich darauf wieder schwer rollte und schreckliche Mengen Wasser übernahm, war sein Entschluß auch schon gefaßt. Angesichts dieser Teilnahmslosigkeit und Unfähigkeit des berufenen Mannes durfte er die Borddisziplin getrost außer acht lassen.
Die anderen, die neben ihm am Großmast standen, waren ebenso teilnahmslos wie Knyvett. Er konnte sie nicht dazu bestimmen, ihm bei seinem
Weitere Kostenlose Bücher