Hornblower 10 - Hornblower in Westindien
gierig nach der einen, armseligen Nuß. Da wußte Hornblower, daß jetzt alles darauf ankam, Zucht und Ordnung zu halten. »Zurück!« herrschte er die Leute an und zog das Bordmesser aus der Scheide, als sie ihm dennoch immer näher auf den Leib rückten.
»Zurück! Wer mich anrührt, ist ein toter Mann!« wiederholte er. Dabei knurrte er wie ein wildes Tier und war sich bewußt, daß er mit wütend gefletschten Zähnen vor seinen Widersachern stand. Ebenso genau wußte er aber auch, daß er - einer gegen neun - keine Aussicht hatte, wenn es wirklich zum Handgemenge kam. »Seid doch vernünftig, Jungens«, sagte er.
»Wir müssen eine ganze Zeit damit auskommen. Darum wollen wir redlich teilen, jedem ein gleichgroßes Stück, keiner kommt zu kurz. Schaut doch inzwischen, ob ihr nicht noch mehr finden könnt.«
Die Kraft seiner Persönlichkeit setzte sich durch, und der Rest von Vernunft, der der Besatzung verblieben war, tat das Seine dazu - die Männer gaben Raum. Bald knieten drei von ihnen um die offene Luke, die anderen beugten sich über sie und blickten ihnen gespannt über die Schultern.
»Da ist noch eine!« krächzte eine heisere Stimme. Ein Arm langte hinunter und fischte die zweite Kokosnuß heraus.
»Hergeben!« befahl Hornblower und fand ohne Widerrede Gehorsam. Inzwischen war bereits die nächste Nuß aufgetaucht und nach ihr noch eine. Die Kokosnüsse häuften sich zu Hornblowers Füßen, jetzt waren es ein Dutzend, jetzt fünfzehn, dann zwanzig, dann dreiundzwanzig der kostbaren Früchte.
Dann war es aus, mehr wollten sich nicht zeigen.
»Wenn wir Glück haben, kommen noch einige zum Vorschein«, sagte Hornblower. Sein Blick wanderte über die Leute hin und ruhte dann einen Augenblick auf Barbara, die wie ein Häufchen Elend am Fuß des Großmastes hockte.
»Wir sind unser elf, also trifft auf jeden von uns für heute eine halbe Nuß. Morgen gibt es die andere Hälfte. Ich selbst kann heute auf mein Teil verzichten.« Niemand erhob gegen diese Entscheidung Einspruch - es kam wohl auch daher, daß sie viel zu begierig waren, ihre Lippen zu netzen, als daß sie noch lange Worte verloren hätten. Die erste Nuß wurde an ihrer Spitze aufgeschlagen, alles paßte ängstlich auf, daß ja kein Tropfen der kostbaren Milch verloren ging, und dann trank der erste, der an der Reihe war. Er hätte unmöglich mehr als seinen Anteil trinken können, denn die anderen drängten sich dicht um ihn, und der Mann, den die andere Hälfte traf, riß ihm die Nuß nach jedem Schluck vom Mund, um nachzusehen, wie viel von dem Inhalt schon verschwunden war. Wer noch warten mußte, war von einer wilden Gier besessen, dennoch mußten sich alle beherrschen, wenn es ihnen auch noch so schwer fiel. Allerdings konnte sich Hornblower nicht darauf verlassen, daß beim Teilen nicht sofort eine Schlägerei entstand und kostbares Naß vergeudet wurde, wenn er nicht bis zum letzten Augenblick selbst die Aufsicht führte. Erst als der letzte Mann seinen Anteil getrunken hatte, brachte er Barbara die übriggebliebene halbe Nuß. Eine leise Berührung seiner Hand weckte sie aus einem bleiernen Halbschlaf.
»Trink das, mein Schatz«, sagte er, als sie blinzelnd die Augen auftat.
Sie trank voll Genuß, aber dann ließ sie die Nuß plötzlich von den Lippen sinken.
»Hast du denn auch gehabt, Liebling?« fragte sie. »Ja, ich habe meinen Anteil schon getrunken«, sagte er in möglichst gleichgültigem Ton.
Als er zu den Männern zurückkam, waren sie gerade dabei, das dünne Fleisch der Nüsse aus den Schalen zu kratzen.
»Macht mir nur die Schalen nicht kaputt, Leute. Wir brauchen sie notwendig, wenn wir eine Regenbö bekommen. Und die übrigen Nüsse geben wir am besten Ihrer Ladyschaft in Verwahrung, auf sie können wir uns bestimmt verlassen.«
Sie gehorchten ihm auch diesmal ohne Widerrede. »Während Sie weg waren, Sir, haben wir noch zwei heraufgeholt«, ließ sich einer der Leute vernehmen. Hornblower warf wieder einen Blick in die Luke, wo allerlei Abfall auf dem Wasser umhertrieb. Dabei kam ihm plötzlich ein neuer Gedanke, und er wandte sich abermals an den Steward.
»Hör einmal«, sagte er, »Ihre Ladyschaft hat doch eine ganze Kiste mit Lebensmitteln an Bord geschickt, alle in Blechbüchsen eingemacht. Die Kiste wurde irgendwo hier achtern verstaut.
Weiß du vielleicht, wo sie ist?«
»Ja, daß weiß ich. Sie war ganz achtern, Sir - unter den Ruderreeps.«
»Mhm«, machte Hornblower.
Während er sich die Sache
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