Hornblower 10 - Hornblower in Westindien
ihn damit zum Gespött der Welt - zum mindesten seiner Welt. Dann war dies sein letztes Kommando, dann war für ihn Schluß für immer. Hornblower dachte an die Jahre seit Waterloo, die Jahre auf Halbsold. Man mochte meinen, sie seien für ihn glücklich und lebenswert gewesen: Ein Sitz im Oberhaus, eine einflußreiche Rolle in der Grafschaft, eine liebende Frau, ein heranwachsender Sohn - war das etwa nicht genug des Guten? Und doch war es für ihn eben nicht das richtige Dasein. Die fünf Jahre seit Waterloo, bis nach dem natürlichen Verlauf der Dinge endlich die Beförderung zum Flaggoffizier kam, waren ihm in ihrer friedlichen Ruhe gründlich auf die Nerven gegangen. Eigentlich hatte ihm dies erst die überschwengliche Freude verraten, die ihn überfiel, als er von seiner Kommandierung nach Westindien erfuhr.
Was konnte er von den Jahren, die ihm noch bevorstanden, bis er ins Grab sank, denn anderes erwarten, als die gleiche traurige Öde, die er schon in den verflossenen fünf Jahren so gründlich ausgekostet hatte? Nein, dieser Stumpfsinn, diese Langeweile mußten noch schlimmer werden, weil er nun alle Hoffnung auf eine neue Verwendung zur See zu begraben hatte.
Er schalt sich bitter, als er sich bei diesen Gedankengängen ertappte. Hier stand er nun und schwelgte in Mitleid mit sich selbst, statt sich in die Aufgabe hineinzuknien, die ihm nun einmal vom Schicksal gestellt war. Was hatte Cambronne im Sinn? Gelang es ihm, jenem Mann zuvorzukommen, schon dort zu sein, wo der andere zuschlagen wollte, dann war sein guter Name gerettet. Hatte er so viel Glück, dann mochte es ihm sogar gelingen, entscheidend in die Ereignisse einzugreifen. Aber in Spanisch-Amerika ging es eben zur Zeit überall drunter und drüber und in Westindien, mit Ausnahme der britischen Kolonien, nicht minder. Ein Ort kam da als Ziel der Daring ebenso in Frage wie der andere, und überdies war es höchst zweifelhaft, ob er, wo auch immer, einen Vorwand zum Eingreifen fand. Cambronne hatte höchstwahrscheinlich eine ordnungsmäßige Bestallung von Bolivar oder irgendeinem anderen Volkstribunen in der Hand - andererseits verriet allerdings seine Heimlichtuerei, daß es ihm das liebste war, wenn die Royal Navy keine Gelegenheit bekam, rechtzeitig einzugreifen. Einzugreifen? Mit sechzehn Mann Besatzung (ohne die überplanmäßigen Leute) und mit einem einzigen Sechspfünder als Bewaffnung? Lächerlicher Unfug! War er nicht doch ein Narr? Aber jetzt gab es für ihn nichts anderes als denken, denken, denken. »Die Sonne geht unter, ehe wir St. Philip in Sicht bekommen, Mylord«, meldete Harcourt, die Hand zum Gruß erhoben.
»Dank, Mr. Harcourt.«
Also wurde kein Salut geschossen, er machte sich sozusagen mit eingezogenem Schwanz aus den Vereinigten Staaten davon.
Es konnte nicht ausbleiben, daß man über die Kürze seines Aufenthalts allerlei dummes Zeug redete und schrieb. Sharpe mochte sich alle Mühe geben, zu erklären, warum er so eilig wieder ausgelaufen war, aber es gab wohl kaum jemand, der sich mit solchen Erklärungen abfand. Kurzum, dieses Kommando, das er sich so brennend ersehnt hatte, erwies sich nachgerade als hohnvolles Fiasko. Selbst dieser Besuch hier, dem er so gespannt entgegensah, hatte mit einer Enttäuschung geendet. Nicht nur, daß er von New Orleans, von Amerika und den Amerikanern so gut wie nichts gesehen hatte, er fand nicht einmal Zeit, sich mit dem gewaltigen Mississippi zu befassen.
Sein Problem nahm ihm jedes Interesse an seiner Umgebung, und die Umgebung hielt ihn ihrerseits davon ab, sich mit gehöriger Sammlung dem alles beherrschenden Problem zu widmen. Das galt zum Beispiel von dieser märchenhaften Art, sich fortzubewegen. Die Crab lief gute fünf Knoten Fahrt durchs Wasser, und dazu kam dann noch der Strom. Davon kam es, daß ihm jetzt eine ganz nette Brise um die Ohren wehte. Es war gelinde gesagt ungewöhnlich, bei Wind recht von vorn ohne Überliegen und ohne Stampfen eine Menge Fahrt über Grund zu machen und dabei nur ein leises Summen in den Wanten und Stagen zu hören, während das laufende Gut überhaupt keinen Laut von sich gab. »Ihr Dinner ist angerichtet, Mylord«, meldete Gerard, als er wieder an Deck erschien.
Die Nacht senkte sich über die Crab , als Hornblower unter Deck ging. Unten in der Kajüte war es unerträglich schwül.
»Schottische Suppe, Mylord«, meldete Giles und setzte den dampfenden Teller vor ihm auf den Tisch. Hornblower tauchte teilnahmslos den Löffel ein und
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