Hornblower 10 - Hornblower in Westindien
führte von Steuerbord nach Backbord quer vor dem Bug der Clorinda vorbei und das nicht einmal in allzu großer Entfernung.
»Ein unverfrorener Bursche!« rief Hornblower, aber er konnte doch nicht umhin, den Wagemut und die hervorragende Seemannschaft des Kapitäns da drüben zu bewundern.
Fell stand dicht neben ihm und starrte nach dem unverschämten Schooner hinüber. Er war wie erstarrt, nur seine Rockschöße schlugen ihm im Wind um die Beine.
Sekundenlang hatte es den Anschein, als ob die beiden Fahrzeuge einem Punkt zustrebten, an dem sie sich treffen mußten, aber dieser Eindruck hielt nicht lange vor. Auch ohne Kompaßpeilungen zeigte es sich nur allzubald, daß die Estrella mit Leichtigkeit vor der Fregatte vorbeikam.
»Geschütze einrennen!« schrie Fell. »Klar zum Halsen! Die Buggeschütze klar!«
Es konnte sein, daß der Schooner eben noch in den Schußbereich der Buggeschütze kam, aber es war doch ein höchst unsicheres Unterfangen, bei diesem schweren Seegang auf große Entfernung zu schießen. Erzielte man dabei überhaupt einen Treffer, so schlug die Kugel womöglich nicht in die Takelage, sondern in den Rumpf und richtete unter den armen Sklaven ein Blutbad an. Hornblower wollte sich darum auf jeden Fall ins Mittel legen, wenn Fell mit dem Feuern Ernst machte.
Die Geschütze waren eingerannt, Fell sah sich die Entwicklung der Dinge noch eine Minute lang an, dann ließ er Backbord Ruder legen und brachte das Schiff platt vor den Wind. Hornblower beobachtete durch sein Glas, daß der Schooner jetzt mit halbem Winde segelte und dabei hart überlag, so hart, daß sich beim Überholen sogar sein gekupferter Boden wie ein rötlicher Strich aus der blauen See hob. Es lag jetzt auf der Hand, daß er weit vor dem Bug der Fregatte vorüberzog.
Auch Fell hatte es offenbar stillschweigend eingesehen, da er den Kurs um weitere zwei Strich nach Backbord ändern ließ.
Die Estrella hatte es ihren zwei Meilen Fahrtüberschuß, ihrer größeren Beweglichkeit und ihren besseren Amwind-Eigenschaften zu danken, daß sie buchstäblich in einem Halbkreis um die Clorinda herumsegeln konnte.
»Sie ist eben ein ausgesprochener Schnellsegler - ganz auf Geschwindigkeit gebaut, Mylord«, bemerkte Spendlove hinter seinem Kieker hervor.
Das war die Clorinda auch, nur mit dem Unterschied, daß sie eben ein Kriegsschiff war, das siebzig Tonnen Artillerie und vierzig Tonnen Pulver und Geschosse mit sich schleppen mußte.
Darum war es auch keine Schande, wenn sie von einem Fahrzeug wie der Estrella ausgesegelt und ausmanövriert wurde.
»Ich nehme an, Sir Thomas, daß sie in San Juan einlaufen wird«, sagte Hornblower. Als sich Fell seinem Admiral zuwandte, stand ihm seine ohnmächtige Wut deutlich genug im Gesicht geschrieben. Er zügelte mit sichtlicher Mühe den Drang, seinen Gefühlen hemmungslos und vor allem in wüsten Schimpfreden Luft zu machen.
»Das ist... das ist...«, stammelte er. »Ja, das könnte sogar einen Heiligen zur Raserei bringen.«
Die Clorinda hatte zwanzig Meilen zu luward von San Juan in einer geradezu idealen Position gelegen, und die Estrella war ihr sozusagen in die Arme gelaufen. Und doch hatte sie es am Ende fertiggebracht, ihrem Verfolger elegant auszuweichen und sich auf diese Art freie Bahn zu ihrem Hafen zu verschaffen.
»Ich kriege den Kerl noch, Mylord!« knirschte Fell.
»Rudergänger!« Jetzt kam noch die lange Raumstrecke nach San Juan mit dem Wind einen Strich achterlicher als querein.
Das gab sozusagen eine Wettfahrt mit fliegendem Start.
Fell setzte den Kurs nach San Juan ab, man sah auf den ersten Blick, daß die Estrella , die Steuerbord querab gut außer Schußweite lag, dem gleichen Ziel zustrebte. Beide Schiffe hatten den Wind ungefähr von der Seite, die lange Strecke, die vor ihnen lag, mußte endgültig zeigen, welches das schnellere war. Im Augenblick liefen sie nebeneinander her wie zwei Yachten, die bei einer Wettfahrt auf dem Solent ihre Dreiecksbahn absegelten. Hornblower dachte wieder daran, daß er diese Reise der Clorinda noch vor wenigen Stunden mit einer Yachtfahrt verglichen hatte. Sein Flaggkapitän sah die Dinge allerdings mit anderen Augen an, das verriet sein verbissener Ausdruck. Fell trug einen grimmigen Ernst zur Schau, aber nicht etwa, weil er sich als Menschenfreund über das traurige Los der Sklaven empörte - o nein, ihm ging es um das heißbegehrte Kopfgeld.
»Ihr Frühstück, Mylord?« erkundigte sich Gerard. Ein Offizier trat grüßend
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