Hornblower 10 - Hornblower in Westindien
aber eben doch genug, um sie vor der Clorinda in Sicherheit zu bringen.
»Und ich kriege sie doch!« rief Fell. »Mister Sefton! Alle Mann auf! Lassen Sie die Luvgeschütze ausrennen! Mister James! Holen Sie Mister Noakes! Sagen Sie ihm, er soll das Frischwasser ablassen. Besetzen Sie die Pumpen, Mister Sefton!
Lassen Sie das Schiff lenz pumpen.« Die Besatzung quoll aus den Niedergängen an Deck. Die Geschützpforten wurden geöffnet, die Bedienungen warfen sich mit aller Kraft in die Geschütztakel und holten die schweren Kanonen der Luvseite Zoll für Zoll den steilen Hang des geneigten Decks hinauf. Die hölzernen Lafettenräder rumpelten dröhnend über die Plankennähte und verursachten wieder einmal jenes erregende Geräusch, das in früheren Jahren so mancher verzweifelten Schlacht vorausgegangen war. Heute wurden die Geschütze nur ausgerannt, um das Schiff durch die Verlagerung ihres Gewichts etwas aufzurichten, damit sich der seitliche Widerstand des Rumpfs im Wasser erhöhte und die Abdrift entsprechend geringer wurde. Hornblower sah sich an, wie die Pumpen bemannt wurden. Die Leute warfen sich mit ihrem ganzen Gewicht auf die Griffe und das rasche Klickklack der Pumpen verriet, mit welchem Eifer sie am Werk waren. Sie pumpten die zwanzig Tonnen Trinkwasser über Bord, die sonst so eifersüchtig gehütet wurden, weil sie das Lebensblut eines kreuzenden Schiffes auf See bedeuteten. Aber die kleine Verringerung des Tiefgangs, die sich durch ihre Opferung erzielen ließ, mochte zusammen mit dem Ausrennen der Luvgeschütze doch vielleicht ein paar Meter mehr Fahrt einbringen.
Der Allemannpfiff hatte auch Mister Erasmus Spendlove, Hornblowers Sekretär, an Deck gelockt. Er betrachtete das wohlgeordnete Getümmel mit jener olympischen Überlegenheit, die Hornblower immer wieder entzückte. Spendlove gefiel sich in der Rolle eines Mannes, den nichts aus der Fassung brachte, womit er gewisse Leute zur Raserei bringen konnte, während andere ihren Spaß daran fanden. Dabei war er ein besonders tüchtiger Sekretär, und Hornblower hatte noch keinen Augenblick bereut, daß er der Empfehlung von Lord Exmouth gefolgt war und ihm den Posten gegeben hatte.
»Sie sehen die misera plebs hart an der Arbeit, Mister Spendlove«, sagte Hornblower.
»Gewiß, man müht sich offenbar gewaltig, Mylord.« Er warf einen Blick nach Luv auf die Estrella . »Ich hoffe, die Arbeit wird ihre Früchte tragen.«
Fell kam mit hastigen Schritten vorüber, seine Blicke wanderten immer noch zwischen den eigenen Toppen und der Estrella hin und her.
»Mister Sefton, rufen Sie den Zimmermann. Ich möchte die Keile am Großmast gelockert haben. Wenn der Mast mehr Spiel hat, laufen wir vielleicht etwas besser.« Hornblower merkte, wie Spendlove plötzlich einen veränderten Ausdruck zeigte. Ihre Blicke begegneten sich. Spendlove war tief in die Theorie der Schiffskonstruktion eingedrungen, und Hornblower besaß eine lebenslange Erfahrung. Der Blick, den sie miteinander tauschten, so kurz wie er war, genügte, um ihnen zu verraten, daß sie sich in ihrem Urteil über diese bedenkliche Maßnahme einig waren. Hornblower beobachtete aufmerksam die Luvwanten, die jetzt um so mehr Zug auszuhalten hatten. Es war nur gut, daß die Clorinda eben erst mit neuem stehenden Gut ausgerüstet worden war.
»Man kann nicht behaupten, daß wir schneller geworden sind, Mylord«, sagte Gerard, ohne den Kieker abzusetzen.
Die Estrella war merklich davongelaufen und stand jetzt obendrein weiter in Luv. Wenn sie wollte, konnte sie bis Mittag aus Sicht sein. Jetzt sah Hornblower, daß Spendlove plötzlich seltsame Grimassen schnitt. Er hatte die Nase in die Luft gesteckt und sog schnuppernd den vorüberstreichenden Wind ein. Da entsann er sich, daß auch ihm schon ein paar Mal so gewesen war, als ob der saubere Passat plötzlich eine Wolke von unglaublichem Gestank herangetragen hätte, ohne daß es ihm eingefallen wäre, sich über diese seltsame Wahrnehmung Rechenschaft zu geben. Jetzt folgte er Spendloves Beispiel und bekam abermals diesen Gestank in die Nase. Zugleich war ihm wieder gegenwärtig, was das war. Hatte er nicht vor zwanzig Jahren den gleichen Gestank gerochen, als eine mit Sklaven vollgepackte spanische Galeere in Luv passierte? Der Passat, der von der Estrella genau in Richtung der Clorinda wehte, trug den üblen Geruch der Menschenfracht zu ihnen hinüber und verpestete die Luft bis weit nach Lee über die makellos blaue See hinweg.
»Jetzt
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