Hornblower 10 - Hornblower in Westindien
roten Wangen Fells plötzlich grau und eingefallen wirkten. Die kleine Kursänderung, die Fell befohlen hatte, bedeutete nicht mehr und nicht weniger als das endgültige Eingeständnis seiner Niederlage. Die Clorinda hielt jetzt zwar ihre Luvposition, mußte aber zusehen, wie die Estrella nur um so schneller davonzog. »Ich fürchte, daß Sie uns bis San Juan leicht schlagen wird, Mylord«, nahm Fell den Faden wieder auf.
Sein Stoizismus war in der Tat bewundernswert.
Der purpurne Dunst, der recht voraus die Berge von Puerto Rico verriet, erhob sich immer höher und nahm immer festere Umrisse an.
»Was befehlen Sie für diesen Fall, Mylord?« "Wie viel Wasser haben Sie noch an Bord?« fragte Hornblower seinerseits.
»Fünf Tonnen, Mylord, für sechs Tage bei kleinen Rationen.«
»Sechs Tage«, wiederholte Hornblower mehr zu sich selbst.
Das war unangenehm. Die nächste britische Besitzung lag hundert Meilen zu luward.
»Ich mußte versuchen, das Schiff zu entlasten, Mylord«, sagte Fell, als ob er sich gegen einen Vorwurf rechtfertigen müßte.
»Ich weiß, ich weiß«, Hornblower war immer gereizt, wenn ihm jemand mit Entschuldigungen kam. »Wenn wir die Estrella nicht mehr fangen, laufen wir nach ihr in den Hafen ein.«
»Zu einem offiziellen Besuch, Mylord?« fragte Gerard sofort.
»Mit meiner Flagge im Topp geht es nicht gut anders«, sagte Hornblower. Offizielle Besuche waren nicht nach seinem Geschmack. »Aber wir schlagen hier gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Es ist ohnedies an der Zeit, daß ich den Spaniern mein Kompliment mache, und wir können dabei gleich unseren Wasservorrat ergänzen.«
»Aye, aye, Mylord.«
Ein repräsentativer Besuch in einem ausländischen Hafen brachte seinem Stab natürlich eine Menge Arbeit - aber der Hauptleidtragende, so sagte er sich ärgerlich, war doch auf jeden Fall er selbst.
»Ich möchte jetzt mein Frühstück haben, ehe wieder etwas dazwischenkommt«, sagte er. Die glänzende Stimmung von heute morgen war ihm gründlich vergangen. Hätte er sich jemals erlaubt, seinen menschlichen Schwächen nachzugeben, so wäre seine Laune jetzt auf dem Nullpunkt gewesen.
Als er wieder an Deck kam, zeigte es sich nur zu deutlich, daß ihnen die Estrella endgültig entkommen war. Der Schooner lag jetzt volle drei Meilen voraus und hatte dabei überdies so viel Luv gewonnen, daß die Clorinda schon fast in ihrem Kielwasser segelte. Die Küste von Puerto Rico war bereits deutlich auszumachen, die Estrella lief soeben in die Hoheitsgewässer ein und war damit gegen jeden Angriff gesichert. Im ganzen Schiff waren alle Mann eifrig an der Arbeit, um überall jenen Zustand höchster Vollkommenheit hervorzuzaubern, der an Bord eigentlich schon zum Alltag gehörte, aber auf jedem britischen Schiff besonders eindringlich zur Schau gestellt werden mußte, wenn es in einen fremden Hafen einlief und die kritischen Blicke der Ausländer auf sich gerichtet sah. Das Deck war so weiß, daß es in der Tropensonne blendete, das Messingwerk blitzte, daß dem Betrachter die Augen schmerzten.
Blanke Entermesser und Piken wurden in zierlichen Mustern am achteren Querschott aufgereiht, überall wurden weiße Baumwolleinen geschoren, die in kunstvollen Türkenbunden endeten.
»Ausgezeichnet, Sir Thomas«, sagte Hornblower anerkennend.
»Die spanische Regierung ist in San Juan durch einen Generalkapitän vertreten, Mylord«, meldete Spendlove. »Der hat den Vorrang. Ich werde ihm also meinen Besuch abstatten müssen«, sagte Hornblower. »Sir Thomas, ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie mich begleiten wollten.«
»Aye, aye, Mylord.«
»In großer Uniform - mit Ordensband und Stern. Es ist leider nicht zu vermeiden.«
»Aye, aye, Mylord.«
Fell war im Jahre 1813 nach einem mörderischen Gefecht mit einer Fregatte zum Ritter des Bath-Ordens ernannt worden. Die Anerkennung galt damals sowohl seinem Mut wie seinem seemännischen Können.
»Der Schooner nimmt einen Lotsen an Bord!« meldete der Ausguck aus dem Topp. »Verstanden!«
»Bald ist die Reihe an uns«, sagte Hornblower. »Höchste Zeit, daß wir uns für unsere Gastgeber zurechtmachen. Hoffentlich wissen sie es zu würdigen, daß wir nach ihrer Siesta einlaufen.«
Das war auch die Stunde, in der die Seebrise einsetzte. Der Lotse, den sie an Bord nahmen, ein großer, hübscher Quadrone, brachte das Schiff ohne die geringste Schwierigkeit in den Hafen. Dennoch stand Fell, der ihm natürlich nicht von der Seite wich, während des
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