Hornblower 10 - Hornblower in Westindien
wieder, so deutlich fühlbar wie eh und je. Der raschere Puls, das warme Gefühl unter der Haut, die allgemeine Unrast. Unter der Schwelle seines Bewußtseins schien sich etwas zu regen - eine Idee wollte ans Licht. Und in der nächsten Sekunde war es soweit, die Idee war geboren. Noch war sie unklar und verschwommen wie eine Landmarke im Dunst der Ferne, aber doch so bestätigend und beruhigend, wie es eine Landmarke immer ist. Überdies lauerten, noch im Schatten des Unterbewußtseins, weitere Ideen, die er einstweilen nur erraten konnte. Unwillkürlich ließ er den Blick zur Estrella hinüberwandern, um die Lage richtig einzuschätzen, neue Einsichten zu gewinnen und ernstlich zu prüfen, was ihm vor Augen stand.
Um seine Erregung nicht zu verraten und das Gespräch nicht in verdächtiger Hast zu beenden, mußte er Stuart noch mit ein paar höflichen Worten für seine Auskünfte danken. Durch eine kurze Anweisung an Fell stellte er sicher, daß Stuart die Belieferung der Clorinda übertragen bekam. Als sich dieser mit überschwenglichen Worten bei ihm bedanken wollte, schnitt er ihm mit einer Handbewegung die Rede ab und verabschiedete sich dann mit aller gespielten Gleichgültigkeit, deren er fähig war.
Längsseits der Estrella herrschte das gleiche geschäftige Treiben wie rings um die Clorinda , da auf beiden Schiffen die Vorbereitungen zur Wasserübernahme getroffen wurden. Die Hitze und der Lärm erschwerten das Denken, der Wirrwarr an Deck war kaum zu ertragen. Und obendrein rückte der Abend immer näher, bald schlug die Uhr acht, die Stunde des Empfangs beim Generalkapitän. Es verstand sich von selbst, daß bis dahin alles überlegt und geklärt sein mußte. Dabei wurde die Sache selbst immer verwickelter. Chinesischen Schachteln gleich gebar sich eine Idee aus der anderen, und jede bedurfte gründlicher Überprüfung auf etwaige Fehler. Die Sonne war eben hinter den Höhen verschwunden, und der Himmel glühte in flammendem Rot, als sein Entschluß endgültig feststand.
»Spendlove!« rief er mit einer Schärfe im Ton, die seiner Erregung zuzuschreiben war. »Kommen Sie mit mir unter Deck.«
Unten in der großen Achterkajüte war es drückend heiß. Der flammende Himmel spiegelte sich im Wasser, und der Widerschein seiner Glut fiel durch die Heckfenster in den Raum. Erst das Anzünden der Lampe machte diesem großartigen Farbenspiel ein Ende. Hornblower warf sich in seinen Sessel und konnte nicht übersehen, mit welcher Spannung Spendlove erwartete, was er ihm sagen wollte.
Spendlove konnte nicht im Zweifel sein, daß sein draufgängerischer Admiral wieder einmal allerlei im Schilde führte. Und doch war selbst er von dem Plan überrascht, der ihm jetzt dargelegt wurde, und konnte sich nicht genug über die Befehle wundern, die er im Zusammenhang damit erhielt. Er verstieg sich sogar dazu, einen Widerspruch zu wagen.
»Aber Mylord...«, stammelte er.
»Kein Wort weiter, Spendlove, führen Sie meine Befehle aus.«
»Aye, aye, Mylord.«
Spendlove verließ die Kajüte, Hornblower blieb allein zurück und wartete. Die Minuten verrannen - kostbare Minuten, die unwiderruflich dahin waren. Endlich klopfte es, wie längst erwartet, und Fell kam mit allen Zeichen höchster Erregung herein.
»Mylord, haben Sie ein paar Minuten Zeit für mich?«
»Es ist mir immer ein Vergnügen, Sie zu empfangen, Sir Thomas.«
»Ich weiß nicht, ob ich Ihnen mit dieser Sache kommen darf, Mylord - ich hätte einen Vorschlag zu machen, der Ihnen recht seltsam erscheinen dürfte.«
»Auch Vorschläge sind mir immer willkommen, Sir Thomas.
Bitte nehmen Sie Platz und sprechen Sie. Wir haben noch eine Stunde Zeit, bis wir an Land fahren müssen. Ich bin sehr gespannt, was Sie mir zu sagen haben.« Fell saß bolzengerade auf seinem Stuhl und krampfte seine Finger um die Armlehnen.
Er mußte ein paar Mal schlucken, ehe er ein Wort über die Lippen brachte. Für Hornblower war es alles andere als angenehm, diesen Mann, der dem Tod wer weiß wie oft tapfer ins Auge gesehen hatte, so schüchtern und ängstlich vor sich sitzen zu sehen. Das Schauspiel, das er ihm bot, berührte ihn geradezu peinlich.
»Mylord...«, begann Fell endlich und mußte abermals schlucken.
»Ich bin ganz Ohr, Sir Thomas«, sagte Hornblower freundlich.
»Es will mir scheinen, Mylord«, setzte Fell abermals an und wurde nun mit jedem Wort sicherer, bis ihm die Rede förmlich von den Lippen sprudelte. »Es will mir scheinen, als ob doch noch eine
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