Hornblower 10 - Hornblower in Westindien
warf, dann kam er bestimmt nie wieder auf die Beine. »Mylord!
Mylord!« Lucy Hough kam hereingestürmt, daß ihre Röcke flogen. Er sollte ihr über Spendlove berichten. »Gottlob, Sie sind gerettet! Sie sind gerettet!« Was sollte das heißen? Das Mädchen warf sich vor ihm auf die Knie, sie griff mit beiden Händen nach seiner Rechten und bedeckte sie mit leidenschaftlichen Küssen. Er trat zurück, er suchte seine Hand zu befreien, aber sie klammerte sich daran fest, sie rutschte ihm auf den Knien nach und ihre Küsse nahmen kein Ende. »Aber, Miss Lucy!«
»Wenn ich Sie nur in Sicherheit weiß«, stieß sie hervor, »alles andere geht mich nichts an!« Dabei sah sie ganz verzückt zu ihm auf. Sie ließ seine Hand noch immer nicht los, über ihre Wangen strömten Tränen. »Eine Höllenqual habe ich durchgemacht! Sie sind doch nicht verletzt? Sagen Sie mir alles! Bitte, bitte, reden Sie doch mit mir!« Es war entsetzlich. Wieder drückte sie ihre Lippen, ihre Wange auf seine Hand. »Miss Lucy! Bitte, fassen Sie sich doch!« Wie kam ein siebzehnjähriges Mädchen zu dieser Leidenschaft für ihn, den fünfundvierzigjährigen Mann?
Galt denn ihre Liebe nicht Spendlove? Konnte es nicht sein, daß sie auch jetzt mit ihren Gedanken bei ihm war? »Ich werde mein möglichstes tun, daß auch Mr. Spendlove bald befreit wird.«
»Mr. Spendlove? O ja, ich wünsche ihm das Allerbeste. Aber für mich gibt es nur einen Menschen auf der Welt, und das sind Sie - Sie - Sie!«
»Aber Miss Lucy! Das dürfen Sie doch nicht sagen! Und jetzt stehen Sie bitte auf. Ich bitte Sie darum!« Irgendwie brachte er sie endlich wieder auf die Beine. »Oh, es war furchtbar - nicht zu ertragen!« sagte sie. »Ich - ich liebte Sie ja vom ersten Augenblick an.«
»Aber Kind!« sagte Hornblower mit aller väterlicher Güte, deren er mächtig war.
»Der Wagen steht in zwei Minuten bereit«, ließ sich Hough von der Tür her vernehmen. »Darf ich Ihnen vor der Abfahrt wenigstens noch ein Glas Wein und einen kleinen Imbiß anbieten?«
»Sehr freundlich, Sir, besten Dank«, sagte Hornblower und suchte zugleich nach Kräften, seiner Verlegenheit Herr zu werden.
»Meine Kleine war seit heute morgen ganz außer Fassung« sagte Hough mit verständnisvoller Miene. »Ja - diese jungen Leute... sie war wohl der einzige Mensch auf der ganzen Insel, der nicht nur an den Admiral, sondern auch an seinen Sekretär dachte.«
»Hm, ja, sie ist eben jung...«, sagte Hornblower. In diesem Augenblick erschien der Butler mit einem Tablett.
»Ach, Lucy, schenk doch bitte Seiner Lordschaft ein Glas Wein ein«, sagte Hough und wandte sich dann an Hornblower.
»Mrs. Hough war krank vor Aufregung, aber sie wird jetzt jeden Augenblick erscheinen.«
»Doch nicht meinetwegen«, sagte Hornblower. »Lassen Sie sie ungestört, ich bitte Sie darum.«
Seine Hand zitterte, als er das Glas nahm. Hough griff nach Messer und Gabel und machte sich daran, das kalte Huhn zu tranchieren.
»Entschuldigen Sie mich bitte«, stieß Lucy plötzlich hervor und rannte fassungslos schluchzend davon, so schnell, wie sie zuvor hereingestürzt war.
»Ich hatte keine Ahnung, daß sie so an ihm hängt«, meinte Hough.
»Ich auch nicht«, sagte Hornblower. In seiner Aufregung hatte er das Glas in einem Zug geleert und begann nun, so bedächtig von dem Huhn zu essen, wie es ihm unter den gegebenen Umständen gelingen wollte. »Der Wagen ist vorgefahren«, meldete der Butler. Hornblower griff mit der einen Hand nach einem Hühnerbein, mit der anderen nach einer Scheibe Brot. »Das nehme ich mit«, sagte er. »Ist es unbescheiden, wenn ich Sie bitte, einen Eilboten vorauszuschicken, der Seiner Exzellenz meine bevorstehende Ankunft meldet?«
»Das ist bereits geschehen, Mylord«, gab Hough zur Antwort.
»Ich habe außerdem Boten zu allen Streifen geschickt, um sie zu benachrichtigen, daß Sie in Sicherheit sind.« Hornblower sank aufatmend in die weichen Kissen des Wagens. Der Zwischenfall mit Lucy hatte zum mindesten bewirkt, daß er fürs erste keine Müdigkeit mehr verspürte. Jetzt durfte er sich endlich zurücklehnen und ausruhen. Erst nach fünf Minuten fiel ihm das Huhn und das Brot ein, die er immer noch in den Händen hielt, und er machte sich ohne rechte Lust daran, beides zu verzehren.
Während der langen Fahrt gab es dann ständig Unterbrechungen, so daß er nie richtig zum Schlafen kam. Die Streifen, die noch nicht wußten, daß er wieder erschienen war, hielten den Wagen an.
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