Hornblower 10 - Hornblower in Westindien
Als sie etwa fünfzehn Kilometer zurückgelegt hatten, trafen sie auf das Hochländer-Bataillon, das am Wegrand Biwak bezogen hatte. Sein Oberst ließ es sich nicht nehmen, herbeizueilen, um sich beim Marinebefehlshaber zu melden und ihm seinen Glückwunsch auszusprechen. Eine Strecke weiter kam ihnen im gestreckten Galopp ein Reiter entgegen und riß neben dem Wagen sein Pferd zusammen. Das war Gerard. Im Licht der Wagenlaterne sah man, daß sein Gaul über und über mit Schaum bedeckt war.
»Gott sei Dank, Mylord, Sie sind in Sicherheit«, war das erste, was er aus seinem Munde zu hören bekam - alle hatten sie wörtlich das gleiche gesagt. Dann war die Reihe an ihm, zu berichten, was ihnen zugestoßen war. Gerard gab sein Pferd ab, sobald sich Gelegenheit dazu bot, und setzte sich zu Hornblower in den Wagen. Er machte sich bittere Vorwürfe, daß er nicht genügend aufgepaßt hatte, um die Entführung seines Chefs zu verhindern, und daß es ihm nicht wenigstens hinterher gelungen wäre, ihn wieder herauszuhauen. ›Als ob ich nicht Manns genug wäre, selbst auf mich aufzupassen‹ dachte Hornblower fast beleidigt, obwohl der Vorfall selbst eben dies zu beweisen schien. »Wir versuchten es mit Bluthunden, die man zum Aufspüren entlaufener Sklaven zu verwenden pflegt, aber leider hatten wir keinen Erfolg.«
»Das ist leicht erklärlich«, sagte Hornblower. »Ich saß ja auf einem Maultier. Und außerdem war die Witterung nach ein paar Stunden nicht mehr frisch genug. Aber lassen wir jetzt das Gewesene, denken wir lieber an die Zukunft.«
»Ehe noch zwei Tage um sind, hängt das ganze Lumpenpack am Galgen, Mylord.«
»So? Und Spendlove? Was, denken Sie, wird dann aus ihm?«
»Hm - ja, gewiß, ich hatte ganz vergessen, Mylord...« Kein Mensch, nicht einmal sein Freund Gerard schien sich groß um Spendlove zu kümmern. Aber Gerard mußte man wenigstens zugute halten, daß er Hornblower voll und ganz begriff, als dieser dargelegt hatte, worum es ging. »Wir müssen unter allen Umständen verhindern, daß ihm etwas zustößt, Mylord.«
»Wie sollen wir das anstellen? Geben wir den Burschen ihren Pardon? - Werden wir Seine Exzellenz dazu bewegen, es zu tun?«
»Ich weiß es nicht, Mylord...«
»Um Spendlove herauszuholen, bin ich zu allem imstande«, sagte Hornblower. »Verstehen Sie mich recht, ich schrecke vor nichts zurück.« Er ertappte sich dabei, daß er in seiner eisernen Entschlossenheit mit den Zähnen knirschte. Sein unausrottbarer Hang zur Selbstanalyse ließ ihn blitzartig erkennen, was in ihm vorging, und er stellte mit zynischer Überraschung fest, welche Wandlungen sich in seinem erregten Gemüt vollzogen. Wilde Wut und ängstliche Sorge lösten einander ab. Wenn es die Kerle wagten, Spendlove ein Haar zu krümmen, dann..., aber wie sollte er das verhindern? Wie sollte es gelingen, Spendlove aus den Händen dieser Menschen zu befreien, die wußten, daß ihr Kopf - ihr Leben und nicht etwa nur ihr Besitz verwirkt war, wenn sie ihn entkommen ließen? Sein Gewissen ließe ihm zeitlebens keine Ruhe mehr, wenn Spendlove etwas zustoßen sollte. Kam es zum Schlimmsten, dann blieb ihm kein anderer Ausweg, als zu den Piraten zurückzukehren und sich auf Gnade und Ungnade in ihre Hände zu geben. Dann mußte er handeln wie Regulus, jener alte Römer, der freiwillig zu den Karthagern zurückkehrte, obwohl er wußte, daß er damit in den sicheren Tod ging. Einstweilen sah es ganz so aus, als ob es wirklich zum Schlimmsten kommen sollte.
»Wir sind am Ziel, Mylord.« Die Meldung Gerards befreite ihn von dem Alpdruck seiner schwarzen Gedanken.
Schildwachen an der Einfahrt, Schildwachen am Tor. Eine hellerleuchtete Halle, Adjutanten, die ihn mit neugierigen Blicken musterten. ›Der Teufel soll sie holen‹, dachte er, und Gerard war ganz seiner Meinung. Er wurde in ein Empfangszimmer geführt, und durch eine zweite Tür erschien gleich darauf Seine Exzellenz. Der begleitende Adjutant zog sich diskret zurück. Seine Exzellenz war ungnädig, so ungnädig, wie ein Mann nur sein kann, wenn man ihm einen bösen Schrecken eingejagt hat. »Was sind denn das alles für Sachen, Mylord?« Hier merkte man nichts von der Ehrerbietung, die alle Welt sonst dem Mann zu zollen pflegte, der als Seeoffizier einen fast legendären Ruf genoß und zum Lohn für seine ruhmvollen Taten zum Peer von England erhoben worden war. Hooper war kommandierender General, er stand unendlich viel höher im Rang als ein gewöhnlicher
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