Hornblower 11 - Zapfenstreich
Kanalmündung war bald erreicht, dann hatten sie nach allen Richtungen freiere Bahn. Aber die Hauptsache - das konnte man nicht oft genug wiederholen - war eben doch, daß sie jetzt anliegen konnten. Für Männer, die so lange vor der bedruckenden Wahl gestanden hatten, entweder beizuliegen oder mit dichten Schoten hart am Wind zu segeln, war das ein phantastischer, an ein Wunder grenzender Wandel der Dinge.
Irgendwo in der Nähe erhob jemand seine Stimme. Was Hornblower jetzt hörte, war kein Rufen und kein Streiten, es war Gesang, ein richtiges Lied, unverständliche, sinnlose Betätigung eines Mannes, der einfach seine Freude daran hatte. ›Von Ouessant nach Scilly Sand's gut hundert Meilen.‹ Das stimmte genau und Hornblower fragte sich, ob es wohl durch ihre augenblickliche Lage begründet war, daß man plötzlich so viel Lärm darum machte. Er zwang sich zu stoischer Geduld, als nun auch noch andere einfielen. ›Lebt wohl und Adieu ihr spanischen Mädchen.‹ Ja, es war sehr deutlich zu merken, daß das Wetter auf der Princess nicht nur wirklich sondern auch im übertragenen Sinne umgeschlagen war. Mit dem Fallen des Barometers hatte sich die Stimmung allgemein gehoben. Man lächelte wieder, man hörte wieder lautes Lachen. Als der Wind dann noch ein paar weitere Striche räumte, konnte man allmählich damit rechnen, daß die Princess am Abend des folgendes Tages Plymouth erreichte. Wie wenn sie jetzt von dieser allgemeinen Erwartung angesteckt worden wäre, begann sie nun richtig über die Wogen zu hüpfen. Bei ihrer Schwerfälligkeit wirkte das geradezu liederlich, man dachte unwillkürlich an eine dicke alte Frau, die trunken ihre Beine zeigt, weil sie unbedingt tanzen will. Meadows allein nahm an der allgemeinen frohen Erwartung nicht teil. Er war einsam und unglücklich, sogar die beiden Offiziere, die ihm auf der Hotspur im Dienstalter am nächsten standen - der Erste Offizier und der Steuermann -, plauderten jetzt angeregt mit Hornblower, statt ihm Gesellschaft zu leisten. Als sich Hornblower eben zu ihm begeben wollte, ging eine Regenbö auf die Princess nieder und stiftete an Deck einige Verwirrung. Die empfindlicheren unter den Passagieren rannten eilig nach vorn oder achtern, um Deckung zu suchen.
»Morgen sind wir in Plymouth, Sir«, sagte Hornblower im Gesprächston, als er an Meadows' Seite getreten war. »Ohne Zweifel, Sir«, sagte Meadows.
»Mir scheint, wir haben allerlei Wind zu erwarten«, sagte Hornblower mit einem prüfenden Blick auf den Regenhimmel.
Er wußte, daß seine Äußerungen übertrieben wirkten, wenn er sich locker zu unterhalten suchte, aber daran war leider nichts zu ändern. »Mag sein«, sagte Meadows.
»Wahrscheinlich werden wir darum die Tor Bay aufsuchen müssen«, gab Hornblower zu bedenken.
»Ja, wahrscheinlich«, stimmte ihm Meadows bei - obwohl man seine steinerne Gleichgültigkeit doch wohl kaum als Zustimmung betrachten konnte.
Hornblower wollte sich noch immer nicht geschlagen geben.
Er versuchte standhaft weiter, mit dem Mann ins Gespräch zu kommen. Dabei tat er sich etwas - nein eine ganze Menge - auf seine edle Gesinnung zugute, daß er hier stand und bis auf die Haut naß wurde, nur um einem anderen in seinem Kummer beizustehen. Er fühlte sich etwas erleichtert, als die Regenbö endlich in Lee der Princess abzog, aber die Erlösung war erst vollkommen, als einer der Matrosen auf dem Vorschiff laut ausrief: »Segel in Sicht! In Luv, zwei Strich voraus.«
Meadows fand wenigstens so weit aus seiner Apathie heraus, daß er mit Hornblower in der gemeldeten Richtung nach vorne Ausschau hielt. Da es in diesem Augenblick plötzlich aufklarte, war das Schiff, als es in Sicht kam, eben noch mit dem Rumpf unter der Kimm und nicht weiter als fünf bis sechs Seemeilen entfernt. Man konnte es jetzt schon deutlich ausmachen. Es lag mit Backbordhalsen hoch am Wind an Steuerbord voraus der Princess und steuerte einen Kurs, der spätestens binnen einer Stunde den Kurs der Princess in nächster Nähe kreuzen mußte.
»Eine Brigg«, bemerkte Hornblower wieder nur der Unterhaltung wegen, weil ja auch Meadows das sehen mußte.
Aber er verstummte, als er allmählich auch noch andere Einzelheiten bemerkte, die jetzt immer deutlicher zu erkennen waren.
Er stellte fest, daß die Vor- und Großstenge genau die gleiche Höhe hatten, da war ferner der charakteristische weiße Schimmer des Segeltuchs. Auch der Abstand der Masten gab ihm zu denken. Das alles sprach eine
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