Hornblower 11 - Zapfenstreich
weiterversuchen, über seine Entdeckung nachzudenken. In McCools Brief hatte die volle Wahrheit gestanden, er war wirklich treu bis in den Tod gewesen. Sein letzter Gedanke hatte der Sache gegolten, für die er gestorben war. Wenn der Wind in der Tor Bay nur noch ein paar Stunden aus Westen gestanden hätte, dann hätte er die Kiste nach Dublin auf den Weg gebracht.
So aber war das ganze für ihn eine großartige Empfehlung, die ihm Lob und offizielle Beachtung einbringen mußte - Dinge, die jeder junge Leutnant dringend brauchte, dem kein Gönner zu einer baldigen Beförderung zum Kapitän verhalf. In Irland gab es dann reichlich neue Arbeit für den Henker. Hornblower erinnerte sich, wie McCool gestorben war, und dabei wurde ihm richtig übel. In Irland war es jetzt ruhig. Die Siege von St. Vincent, von Abukir und Camperdown hatten die Gefahr gebannt, die England gedroht hatte. Jetzt konnte England es sich leisten, großherzig zu sein. Und auch er selbst konnte sich das leisten. Was aber wurde aus dem Geld? Wenn Hornblower sich späterhin an dieses vergangene Ereignis erinnerte, kam er zynisch zu dem Ergebnis, daß er der Versuchung nur deshalb widerstanden hatte, weil Banknoten immer eine gewisse Gefahr bedeuteten. Sie tragen ja alle Nummern, darum ist ihr Weg leicht zu verfolgen. Bei den Noten in der Kiste mußte man außerdem damit rechnen, daß sie von der französischen Regierung gefälscht waren. Aber Hornblower legte seine wirklichen Beweggründe falsch aus. Wahrscheinlich diente ihm das zur Stärkung seines Selbstbewußtseins, weil diese wirklichen Beweggründe so wirr und ungreifbar waren, daß er sich ihrer schämte. Ihm ging es vor allem darum, McCool endlich zu vergessen. Er wollte den ganzen traurigen Fall als erledigt betrachten.
Viele Stunden wanderte er noch an Deck auf und ab, ehe seine Entscheidung reifte, und es gab auch Nächte, in denen er keinen Schlaf fand. Aber am Ende kam Hornblower dann doch zu einem Entschluß. Mit aller Sorgfalt traf er seine Vorbereitungen, und als die Zeit gekommen war, handelte er zielbewußt und entschlossen. Am Abend eines ruhigen Tages hatte er die Abendwache übernommen, Finsternis hatte sich über die Biscaya gesenkt, und die Renown glitt unter kleinen Segeln mit wenig Fahrt über das schwarze Wasser. Ihre Gefährten waren eben noch zu unterscheiden. Smith saß mit dem Zahlmeister und dem Arzt in der Messe beim Kartenspiel. Ein Wort Hornblowers sandte die beiden stumpfsinnigsten Männer der Wache unter Deck in seine Kammer, um die Seekiste heraufzuholen, die er schon im voraus sorgfältig mit Segeltuch umkleidet hatte. Sie war sehr schwer, da er in das Segeltuch zwei Vierundzwanzig-Pfünder-Kugeln mit eingenäht hatte. Die Männer ließen die Kiste auf seinen Befehl an den Speigatten stehen. Als es dann um vier Glasen für die Renown Zeit wurde zu wenden, gelang es ihm, das Ding mit einer gewaltigen Kraftanstrengung über Bord zu befördern. Der Aufschlag auf das Wasser wurde wegen des Wendemanövers nicht bemerkt.
Nun war da noch jener Brief. Er lag in Hornblowers Schreibmappe und nahm ihm die Ruhe, sooft er ihn erblickte.
Diese zärtlichen Worte, dieser liebevolle Abschied! Es war wirklich eine Schande, daß McCools Witwe nicht die Möglichkeit haben sollte, diesen Brief zu lesen und wie einen kostbaren Schatz zu bewahren. Später erst - als die Renown im Hamoaze lag, um für Westindien ausgerüstet zu werden, saß Hornblower eines Tages beim Dinner neben Payne. Es dauerte eine ganze Weile, bis er dem Gespräch die richtige Wendung geben konnte.
»Weil wir gerade davon sprechen«, sagte Hornblower dann wie beiläufig, »wissen Sie eigentlich, ob McCool verheiratet war?«
»Der verheiratet? Nein. Ehe er Paris verließ, war er in einen bekannten Skandal um die Tänzerin La Gitanita verwickelt. Von einer Frau - oder vielmehr einer Witwe kann keine Rede sein.«
»Sieh einer an«, sagte Hornblower mehr zu sich selbst. Der Brief war also nur eine literarische Stilübung gewesen, ebenso wie das Gedicht. Hornblower sagte sich, daß die Kiste und der Brief für die Witwe McCool in jenem Haus in Dublin von den übrigen Leuten, die dort wohnten, gebührend in Empfang genommen worden wären. Er ärgerte sich ein bißchen, daß er an diese nicht existente Witwe so viele Gedanken verschwendet hatte, aber jetzt konnte der Brief hinter der Kiste her über Bord fliegen. Und Payne sollte auf keinen Fall in der Flotte zur Zielscheibe des Gelächters werden.
Die letzte
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