Hornblower 11 - Zapfenstreich
aye, Sir‹ geantwortet. Aber damit war es zu Ende. Jetzt war er Butler und noch dazu Butler eines Pairs von England. Er ging auf leisen Sohlen durchs Zimmer, und Hornblower bewunderte dabei heute wie immer den tadellosen Sitz seines Anzugs. Dieser war schlechthin vollendet geschnitten und wies dabei doch jene winzigen Merkmale auf, die dem kundigen Blick verrieten, daß der Träger kein Gentleman, sondern nur ein Butler war. Brown schloß die Tür leise hinter sich. Das kam Hornblower höchst ungelegen, denn gerade als sich der Butler aufgemacht hatte, um hinauszugehen, erreichte seine quälende Spannung den Höhepunkt. Da hörte er nämlich eine laute, scharfe Männerstimme, die irgend etwas zu verlangen schien, und gleich darauf die ehrerbietige, aber unbeugsame Ablehnung des Dieners. Obwohl die Tür geschlossen war, glaubte Hornblower immer noch jene schneidende Stimme zu hören, und seine Neugier kannte nun keine Grenzen mehr. Er erhob sich und riß an dem Klingelzug neben dem Kamin. Brown kam gleich herbeigeeilt, und als er die Tür auftat, war jene scharfe, befehlsgewohnte Stimme wieder laut und deutlich zu hören.
»Was ist denn da bloß los?« fragte Hornblower den Butler. »Mir scheint, Mylord, wir haben es mit einem Verrückten zu tun.«
»Wie, mit einem Verrückten?«
»Ja, Mylord, er sagt, er sei Napoleon Bonaparte.«
»Ach du großer Gott! Und was führt ihn ausgerechnet zu mir?« Auch jetzt, in seinem dreiundsiebzigsten Lebensjahr, spürte er noch jenes Prickeln rascher strömenden Blutes in seinen Arterien und in den Venen, das ihn noch immer befallen hatte, wenn ein Gefecht bevorstand. Ein Mann, der sich für Napoleon Bonaparte hielt, hatte gewiß nichts Gutes im Sinn, wenn er den Großadmiral Lord Hornblower in seinem Heim aufsuchte. Aber Browns nächste Worte zeigten ihm, daß die Absicht des Fremden wohl doch nicht so böse war.
»Er möchte sich von Ihnen einen Wagen und Pferde ausleihen, Mylord.«
»Und was will er damit?«
»Auf der Eisenbahn scheint es eine Störung gegeben zu haben, Mylord. Er sagt, er müsse so schnell wie möglich nach Dover gelangen, um das nächste Schiff nach Calais zu erreichen.
Sein Vorhaben in Paris sei von größter Bedeutung.«
»Was macht er denn für einen Eindruck?«
»Nun, Mylord, er ist immerhin gekleidet wie ein Gentleman.«
»Hm.«
Diese Eisenbahn lief erst seit kurzer Zeit am Park von Smallbridge entlang und verschmutzte die schöne Landschaft Kents mit ihrem Ruß und Dreck. Von den oberen Fenstern des Hauses aus konnte man den ekelhaften Qualm der Lokomotiven sehen und im ganzen Haus hörte man die schrillen Töne ihrer Pfeifen. Aber die bösen Prophezeiungen der Schwarzseher hatten sich nicht erfüllt. Die Kühe gaben immer noch ihre Milch, die Schweine warfen ihre Ferkel, die Obstbäume trugen ihre Früchte wie ehedem, vor allem aber hatte es bemerkenswert wenige Unfälle gegeben.
»Wollen Sie den Fall als erledigt betrachten, Mylord«, fragte Brown, um seinen Herrn daran zu erinnern, daß in der äußeren Halle immer noch dieser Eindringling stand, zu dessen Wunsch er Stellung nehmen sollte. »Nein, führen Sie ihn herein«, sagte Hornblower.
Das Leben eines Landedelmanns mochte angenehm und bestens gesichert sein, aber zuweilen befiel ihn eben doch die Langeweile, so daß ihm jede Abwechslung willkommen war.
»Sehr wohl, Mylord.«
Als Brown gegangen war, warf Hornblower einen Blick in den goldgerahmten Spiegel über dem Kamin. Seine Krawatte und seine Hemdbrust waren untadelig, die etwas schütteren weißen Haare waren sorgfältig frisiert, und die braunen Augen unter den schneeweißen Brauen blitzten noch fast wie ehedem.
Jetzt kam Brown zurück. Er hielt die Tür geöffnet und meldete: »Mr. Napoleon Bonaparte!«
Der Eintretende hatte keine Ähnlichkeit mit dem Mann, den in England jedes Kind von zahllosen Buntdrucken her kannte.
Er trug keinen grünen Rock, keine weiße Hose, keinen Dreispitz und auch keine Epauletten. Dieser Mann erschien in korrektem grauem Zivil, das unter dem aufgeknöpften Mantel mit Pelerine zu sehen war. Da er bis auf die Haut durchnäßt war, sah der graue Stoff fast schwarz aus, seine mit Stegen steifgespannte Hose war bis zu den Knien herauf voll Schmutz. Ansonsten - wenn man von seiner böse mitgenommenen Kleidung absah, wirkte er wie ein vollendeter Stutzer. Seine äußere Erscheinung mochte in einigen Einzelheiten an Bonaparte erinnern - er hatte wie jener auffallend kurze Beine und besaß darum nicht
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