Horowitz, Anthony - Die fuenf Tore 5 - Zeitentod (Das Finale - Teil 1)
später hatte er die dort befestigte Taschenlampe eingeschaltet und damit beide Hände frei, um mit seiner Maschinenpistole auf uns zu zielen. Der grelle Lichtstrahl blendete uns. Der Polizist hatte zwar seinen Helm mit dem Visier verloren, aber ich konnte sein Gesicht trotzdem nicht sehen. Er hatte die Situation vollständig unter Kontrolle. Es gab nichts, was wir tun konnten, um zu verhindern, dass er uns gleich hier erschoss.
„Keine Bewegung!“, knurrte er. Er trug ein Headset, aus dem eine knisternde Stimme zu hören war. Er antwortete über das Mikrofon, das sich dicht vor seinen Lippen befand. „Ich habe sie.“
„Wo sind sie?“ Es war die Frau aus dem Hubschrauber.
„Bei der Kirche“, sagte Jamie. Es dauerte einen Moment, bis mir klar wurde, dass er es war, der gesprochen hatte. Er starrte den Polizisten an und wirkte plötzlich ganz anders als sonst. Ich wusste sofort, was hier passierte. Jamie hatte besondere Kräfte. Das hatte er mir bereits gesagt. Und jetzt setzte er sie ein.
„Sie sind bei der Kirche“, sagte der Polizist.
Er wusste natürlich, dass er gelogen hatte. Das hatte er nicht sagen wollen. Er versuchte verzweifelt, sich aus dem Bann zu befreien, unter dem er stand. Seine Hände krallten sich fester um die Waffe und ich war überzeugt, dass er uns erschießen würde. Aber dann hörte ich leise Schritte und jemand stürmte aus der Dunkelheit heran. Als der Polizist die Gefahr spürte und herumfuhr, wurde er auch schon niedergeschlagen. George stand über ihm, mit dem Kricketschläger in der Hand, mit dem er den Mann bewusstlos geschlagen hatte. Ich hatte keine Ahnung, wie er hierhergekommen war oder ob er schon die ganze Zeit auf uns gewartet hatte.
„Du musst gehen, Holly“, sagte er.
„Komm mit uns, George.“
„Nein. Ich kann nicht.“
Er sah an sich herab und erst da bemerkte ich den dunklen Fleck auf seinem Hemd. Er war angeschossen worden oder hatte eine Stichwunde. Vielleicht hatte ihn auch ein Schrapnell von einer der Granaten getroffen. Ich wusste wirklich nicht, wie er es bis hierher geschafft hatte, und konnte nicht fassen, woher er die Kraft genommen hatte, uns zu helfen. Ich wusste jedoch, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb.
„George …“, stieß ich mit erstickter Stimme hervor. Mir liefen die Tränen über die Wangen und ich fragte mich, wie all das hatte passieren können. Noch vor ein paar Tagen hatte ich Äpfel gepflückt und er hatte Brot gebacken.
Dann hörte ich das Geräusch, das ich am meisten fürchtete: das Stampfen von Leder auf Beton, und mir wurde klar, dass trotz Jamies Trick weitere Polizisten auf dem Weg waren, die gerade die Hauptstraße hinunterrannten. George sank auf die Knie. Er konnte nicht mehr stehen. Trotzdem nahm er dem toten Polizisten die Waffe ab und drückte sie sich an die Brust. Ich erkannte sofort, was er vorhatte.
„Geh schon, Holly“, keuchte er. „Verschwinde von hier.“
„George …“ Ich konnte nicht fassen, dass ich mich wirklich von ihm verabschiedete.
Der Reisende wartete nicht länger. Er packte meine Schultern und stieß mich in die Richtung, die er einschlagen wollte. Jamie folgte uns. Er sah krank aus und schien unter Schock zu stehen. George blieb, wo er war, und ich sah mich nicht noch einmal um.
Ich spürte eine Bodenwelle unter den Füßen und wusste, dass wir auf dem Treidelpfad waren, der parallel zum Fluss verlief. Wir rannten etwa fünf Minuten – und da tauchte er vor uns auf, ein großer schwarzer Klotz, der nur die Lady Jane sein konnte. Das Hausboot des Reisenden saß an derselben Stelle im Schlamm fest wie schon die letzten sieben Jahre.
Ich ließ mich vom Reisenden an Bord schubsen, spürte das hölzerne Deck unter meinen Füßen und klappte auf den Brettern zusammen. Hinter uns, am Anleger, hörte ich das Rattern einer automatischen Waffe und wusste, dass es George war, der mich bis zum bitteren Ende verteidigte.
Ich hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Ich dachte, dass wir uns hier verstecken würden, bis alles vorbei war. Vielleicht ging der Reisende davon aus, dass sie hier nicht nach uns suchen würden. Doch dann hörte ich ein fast unglaubliches Geräusch: ein metallisches Husten, gefolgt von einem Rumpeln irgendwo tief unten. Das ganze Boot begann zu vibrieren und ich erkannte, dass das Treidelpferd, das die Lady Jane bei ihrer Ankunft gezogen hatte, nur ein Täuschungsmanöver gewesen war und dass das Boot einen funktionsfähigen Motor besaß. Der Reisende hatte
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