Horowitz, Anthony - Die fuenf Tore 5 - Zeitentod (Das Finale - Teil 1)
der Deckel und es gelang ihnen, ihn ein Stück zur Seite zu ziehen.
Pedro schaute in den Schacht und fuhr zurück, als ihn der Gestank des Abwassers traf. Im Schacht war es dunkel, aber er konnte sehen, dass Metallsprossen in die Wand eingelassen waren. Nach fünf oder sechs Metern verschwanden die letzten Sprossen in einer ekligen braunen Brühe. Er wusste, was er zu tun hatte. Aber er brachte es nicht über sich. Er würde dort unten sterben.
„Devi andare. In fretta!“, drängte der Junge und drückte ihm etwas in die Hand. Es war eine kleine Taschenlampe. Er musste sie in der Küche gestohlen haben, während Pedro im Ofen war. „Saró dall’ atro lato …“ Pedro hatte keine Ahnung, was die Worte bedeuteten, aber die Gesten des Jungen waren eindeutig. Er würde warten, wenn Pedro herauskam. Seine Augen sagten noch etwas anderes. Es gab keinen anderen Weg. Sie hatten keine Wahl.
„Danke“, sagte Pedro. Im günstigsten Fall würde der Junge nur bestraft werden, wenn auffiel, dass die Taschenlampe verschwunden war. Aber wenn sie ihn verdächtigten, dass er Pedro geholfen hatte, würden sie ihn töten. Pedro wollte gerade anfangen, die Metallstufen hinabzusteigen, als ihn etwas dazu brachte, kurz innezuhalten und sich noch einmal umzuschauen. „Pedro“, sagte er und tippte sich auf die Brust.
„Giovanni.“
Irgendwie half es, seinen Namen zu kennen. Damit kam ihm der Junge eher vor wie ein Freund und nicht wie jemand, der ihn in eine schreckliche Todesfalle schickte.
Er ließ sich über die Kante gleiten und begann hinunterzuklettern. Je näher er dem Abwasser kam, desto unerträglicher wurde der Gestank. Er hatte in den letzten paar Tagen kaum etwas gegessen und doch drehte sich ihm der Magen um. Und tatsächlich, eine Sekunde später musste er den Kopf abwenden und sich übergeben. Die saure Flüssigkeit spritzte in die stinkende Brühe. Es war beinahe, als hätte Giovanni auf diesen Moment gewartet. Über sich hörte Pedro das Scharren des Schachtdeckels auf dem Steinboden und dann ein Rumpeln, als er in seine alte Position glitt. Er sah nach oben, doch da gab es nichts mehr zu sehen. Er war lebendig begraben.
Am liebsten wäre er jetzt wieder an den Metallsprossen hochgeklettert und hätte den Deckel aufgestoßen. Allerdings bezweifelte er, allein die Kraft dazu aufbringen zu können, und außerdem hatte es sicher einen Grund, wieso Giovanni ihn hier heruntergeschickt hatte.
Der Junge hatte bereits in der Küche bewiesen, dass man ihm trauen konnte. Der Trick mit dem Backofen hatte funktioniert. Pedro steckte das Taschenmesser in eine Hosentasche und nahm die Taschenlampe in die linke Hand. Er durfte keines von beidem verlieren. Er klammerte sich an die Metallsprossen, so gut er konnte, und stieg weiter hinunter.
Sein Fuß versank in der kalten dickflüssigen Brühe. Er spürte, wie sie über seinen Knöchel stieg. Die Stufen führten immer weiter abwärts. Wie weit war es noch bis zum Boden? Noch eine Stufe und das Abwasser stand ihm bis zur Wade, bei der nächsten schon bis zum Knie. Er hatte keine andere Wahl, als weiterzugehen. Je näher das Wasser seinem Mund und seiner Nase kam, desto schlimmer wurde die Übelkeit. Er würgte bei jedem Atemzug, aber es war nichts mehr da, das er erbrechen konnte. Die Magensäure brannte ihm im Hals. Der Gestank war unerträglich. Kotbrocken schwappten gegen ihn und beim Hinabsteigen rührte er die Fäkalien unabsichtlich auf. Die Brühe war jetzt schon bei seinen Oberschenkeln. Dann am Bauch. Wie viele Stufen kamen denn noch? Würde er womöglich schwimmen müssen? Doch als er seinen Bauch in der Höllenbrühe versenkte, berührte sein Fuß festen Betonboden und er stellte erleichtert fest, dass er stehen konnte. Wenn er dann noch die Arme hochhielt, konnten seine Brust und die Hände als eine Art Schutzschild unterhalb seines Gesichts dienen.
Er schaltete die Taschenlampe an. Ein matter kleiner Lichtstrahl zeigte ihm, dass ein großes Abwasserrohr in gerader Linie von dem Schacht wegführte, durch den er eingestiegen war. Das mickrige Licht ließ ihn aber auch die Oberfläche des braunen Flusses sehen und erkennen, was dort herumschwamm, und dieser Anblick veranlasste ihn, die Augen zu schließen und den Kopf abzuwenden. Im gleichen Moment schaltete er die Lampe aus. Die Batterien waren ohnehin fast am Ende und er würde das Licht vielleicht später noch brauchen. Er wartete, bis sein Magen aufhörte zu zucken. Dann biss er die Zähne zusammen,
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