Horowitz, Anthony - Die fuenf Tore 5 - Zeitentod (Das Finale - Teil 1)
versuchte krampfhaft, die Dämpfe nicht in den Mund zu bekommen, und watete los.
Der Tunnel war ziemlich eng und als er sich durchzwängte, schmierte er sich weichen Schleim an die Schultern. Sein Unterkörper bahnte sich einen Weg durch die Brühe und er spürte, wie sich das zähe Zeug vor ihm teilte und hinter ihm wieder schloss. Er war vollkommen blind und schaltete deshalb alle zehn Sekunden kurz die Lampe an, um sicherzugehen, dass der Weg frei war. Er hatte panische Angst, dass der braune Fluss tiefer werden würde, dass er einen Schritt machen und unter die Oberfläche geraten würde. Wenn er auch nur einen einzigen Mundvoll davon schluckte, wäre das sein Tod. Am liebsten wäre er so schnell vorwärtsgehastet, wie es ging, aber sein Verstand riet ihm, langsam vorzugehen. Er durfte nicht stolpern oder fallen. Er musste einen Schritt nach dem anderen machen.
Er kam an eine Öffnung. Seine Schultern verloren den Kontakt zur Wand. Er schaltete die Taschenlampe ein und stellte fest, dass er an eine Abzweigung gekommen war und jetzt die Wahl zwischen zwei Röhren hatte.
Wieso hatte ihn Giovanni nicht gewarnt? Beide Gänge sahen vollkommen gleich aus – schwarz glänzende Ziegelwände und eine halbrunde Decke ein paar Meter über seinem Kopf. Ohne besonderen Grund bog er nach rechts ab und war eine Zeit lang überzeugt, die richtige Wahl getroffen zu haben. Je weiter er ging, desto flacher wurde das Wasser. Schließlich war es nur noch knöcheltief. Doch als er die Lampe wieder anschaltete und noch etwas Energie seiner wertvollen Batterien verschwendete, stöhnte er. Vor ihm war eine Ziegelmauer. Über sich hörte er eine Bewegung, das Klimpern einer Kette und das Rauschen von Wasser. Bevor er wegspringen konnte, wurde er von einer Ladung Abwasser getroffen. Die Ausscheidungen klebten in seinen Haaren und rutschten über seine Schultern. Es war ekelhafter als alles, was er je erlebt hatte.
Wütend und den Tränen nahe kehrte er um und ging zurück ins tiefere Wasser. Es war stockdunkel, doch er wagte nicht, die Lampe zu benutzen. Doch dann hörte er wieder etwas und wurde von hinten angestoßen. Er schrie vor Schreck auf. Hektisch schaltete er die Taschenlampe an und ihr matter Lichtstrahl beleuchtete eine vorbeischwimmende Ratte von der Größe einer kleinen Katze, deren krallenbewehrte Pfoten an der Oberfläche strampelten, Nase und Augen hochgereckt, den langen, schmierigen Schwanz im Schlepp.
Pedro reichte es. Er sah sich hier unten sterben. Seine Hand tat mehr weh als jemals zuvor und er war erschöpft. Sogar die Zelle war besser gewesen als das hier. Er erreichte die Kreuzung, an der er falsch abgebogen war, und folgte diesmal dem anderen Tunnel. Hier wurde das Wasser tiefer, nicht flacher. Er spürte den Druck der Brühe an seiner Brust und wie sie versuchte, ihn zurückzuhalten. Er wollte umkehren. Es wurde mit jedem Schritt schlimmer und tiefer. Aber etwas war anders. Irgendwo vor ihm war Tageslicht zu erahnen. Er konnte es an den Wänden sehen. Es beleuchtete die Flüssigkeit, die an ihm herunterlief. Er eilte um eine Kurve im Tunnel und blieb geschockt stehen.
Der Junge, dieser Giovanni, hatte ihn reingelegt. Direkt vor ihm war ein Ausgang, der ihm einen Blick auf die dämmrige Welt draußen erlaubte. Die Sonne ging bereits unter, aber er konnte trotzdem einen Sandstrand und dahinter das Meer erkennen. Aber der Weg dorthin war versperrt. Ein Metallgitter verschloss den Ausgang des Tunnels – zu engmaschig, um hindurchzukriechen, und zu dick, um es zu durchtrennen. Pedro biss die Zähne zusammen, stieß in Gedanken die schlimmsten Flüche aus, die er kannte, und stolperte vorwärts. Mit beiden Händen griff er in das Gitter und rüttelte daran. Es bewegte sich nicht. Er konnte das Meer sehen! Da war es, nur ein paar Meter von ihm entfernt, und das ungeklärte Abwasser floss als braunes Rinnsal über den Strand. Und doch kam er nicht weiter. Er hatte keine weiteren Gänge gesehen, aber er musste umkehren und nach einem anderen Ausweg suchen.
Das wollte er gerade tun, als er eine Stimme hörte.
„Pedro! Pedro!“
Es war Giovanni. Der italienische Junge war aus dem Gebäude geschlichen und hockte jetzt auf der anderen Seite des Gitters. Sein Ekel stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er konnte zwar nicht viel von Pedro sehen, aber der Gestank war wohl schlimm genug.
„Devi andare sotto!“
Fast dieselben Worte wie zuvor, doch diesmal zeigte Giovanni auf die Oberfläche und deutete energisch mit
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