Horror Factory 05 - - Necroversum: Der Riss
prallte an ihren angespannten Muskeln ab wie an einer Wand aus Hartgummi. Ein paar Sekunden lang war ihr Gegner verwirrt. Dann sah sie die Bierflasche in seiner Hand. Der Gedanke, die Flasche als Waffe zu benutzen, stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Mit einem Handkantenschlag gegen den Hals kam sie dem Indianer zuvor. Die Gothic Girls schrien und wiegelten die Umstehenden damit weiter auf.
»Die Pissoma hat Mike totgeschlagen!«, kreischte eines der Mädchen.
Was natürlich Unsinn war. Sie hatte ihn bestenfalls eine halbe Stunde außer Gefecht gesetzt.
Gehetzt schaute sie sich um. Überall war die Menge in Bewegung. Flaschen, Gläser, Feuerwerkskörper und größere Gegenstände flogen durch die Luft.
Nirgendwo sah sie einen Ausweg.
In diesem Moment entdeckte sie die Schwarzgekleideten. Sie waren zu dritt, vielleicht zwanzig Meter von ihr entfernt, und trugen Roben, sodass sie auf den ersten Blick wie harmlose Karnevalsjecken wirkten.
Wäre nicht die Kälte gewesen, die sie sogar über die Entfernung hinweg spürte.
Das sind sie.
Sie konnten ihre Gesichter verbergen, aber nicht ihre Aura.
Auch die Feiernden schienen die Gefahr zu spüren, die von den Schwarzgekleideten ausging, denn vor ihnen teilte sich die Menge und gab den Weg frei.
Sie wusste, sie würden die Gelegenheit nutzen, um sie zu töten. Dass sie es überhaupt wagten, sich so unverblümt in der Öffentlichkeit zu zeigen, bedeutete nichts Gutes.
Sie nahm nun keine Rücksicht mehr, bahnte sich mit Fäusten und Ellenbogen ihren Weg, schubste, schlug und trat. Die Furcht saß ihr im Nacken. Sie sah sich nicht um, aber sie spürte, dass die Schwarzgekleideten näher kamen.
Endlich lag das Portal vor ihr. Die Türen waren geschlossen, doch die Kirche war geöffnet, das wusste sie.
Ein kalter Hauch streifte ihren Rücken. Hinter sich hörte sie die Feiernden aufschreien, als würden auch sie den Atem von Tod, Fäulnis und Verwesung wahrnehmen.
Ein Kirchendiener stellte sich ihr in den Weg. »Tut mir leid, Sie können jetzt nicht herein.« Offensichtlich hielt er sie für eine Betrunkene oder eine Randaliererin.
Sie fegte ihn beiseite, drängte sich an ihm vorbei durch den Seiteneingang.
Der Mann protestierte, folgte ihr aber nicht. Auch er schien mit einem Mal zu spüren, dass sich etwas Unaussprechliches, Ungeheuerliches dem Dom näherte …
Im Innern des Doms war es kalt und schummrig. Aber es war nicht die Kälte und Düsternis, die ihre Verfolger ausstrahlten. Es war eine angenehme, wohltuende Kühle, die der Dom wie immer für sie bereithielt.
Die Kirchenbänke waren nur spärlich besetzt. Einige Besucher waren im Gebet vertieft, als wüssten sie nicht, dass draußen der Karneval tobte, oder als wollten sie ihn aus Geist und Körper verbannen.
Hier im Dom herrschte eine vollkommen andere Atmosphäre. Die lärmende Welt draußen hatte hier keine Bedeutung, keine Macht; sie war nicht einmal zu hören. Kein Laut drang in die erhabene Stille. Alles wurde von den gewaltigen Mauern ferngehalten – auch die drei Kreaturen, die ihr auf den Fersen waren. Sie wusste, dass ihnen der Eintritt verwehrt war.
Zielstrebig schritt sie durch die Reihen nach vorne bis zum Südquerhaus.
Auch wenn sie vor den drei Boten geflüchtet war, hieß das nicht, dass sie dieses Ziel nicht sowieso angesteuert hätte.
Sie nahm auf der Bank Platz und betrachtete eingehend das große Fenster, das der Künstler Gerhard Richter vor ein paar Jahren erschaffen hatte. Angeblich hatte Richter die über zweiundsiebzig Farben mithilfe eines Computerprogramms zufällig den elftausend Quadraten zugeordnet, doch sie wusste es besser. Wie immer sprachen die Farben auch diesmal zu ihr, verrieten ihr elementare Geheimnisse, flüsterten von Tod und Leben, drohender Apokalypse und verlorenen Paradiesen.
In der Vergangenheit hatte sie oft dem Flüstern gelauscht, hatte sich immer wieder gefragt, ob es Zufall war. Hatte der Künstler das Fenster doch bewusst geschaffen? Oder hatte künstliche Intelligenz etwas bisher nie Dagewesenes kreiert, um mit ihresgleichen zu kommunizieren?
Wie auch immer, heute war irgendetwas anders als sonst. Einige der Farben hatten den Platz gewechselt, andere waren verschwunden.
Plötzlich brach sich ein Sonnenstrahl in dem monumentalen Fenster und blendete sie mit einer Explosion aus Farben. Die zahllosen neuen Informationen, die sie dabei erhielt, prasselten wie Hagelschläge auf sie ein.
Sie sank auf die Knie und betete das
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