Horror Factory 05 - - Necroversum: Der Riss
Syriah betete, spürte sie die Kraft, die von den Worten ausging. Auch wenn es ihr nicht vergönnt war, das Vaterunser vorwärtszusprechen, entfaltete das Gebet die erhoffte Wirkung.
Die Schweißtropfen auf ihrer Stirn trockneten und wichen wohltuender Kühle. Aus der Kopfwunde floss kein Blut mehr. Nicht zum ersten Mal fragte sich Syriah, ob sie überhaupt körperlichen Schmerz spüren konnte.
Natürlich fühlte sie etwas, wenn sie sich verletzte oder verletzt wurde, aber es war ein eher seelischer Schmerz, der sich wie ein Reflex körperlich ausdrückte. Allein schon aus Schutz, um nicht erkannt zu werden.
Hatte sie vorhin, als die zugefeilten Nieten in ihre Stirn gedrungen waren, nicht aufgeschrien? Nein, sie hatte es versäumt. Ein unverzeihlicher Fehler. Wenn sie schon nicht verhindern konnte, dass ihr Blut eine andere Farbe besaß als das Blut der Menschen, war es umso wichtiger, dass sie sich in den anderen Dingen den Irdischen anpasste.
Ihr Blick schweifte erneut zu dem riesigen Richter-Fenster. Es war verstummt.
Sprich mit mir, bat sie stumm. Was hat es zu bedeuten, dass die drei Todesboten es wagen, mich in aller Öffentlichkeit zu jagen?
Sie öffnete ihren Geist so weit wie nie zuvor für einen Fremden, doch die Intelligenz in dem Fenster hatte sich zurückgezogen. Syriah runzelte die Stirn. Entschlossen stand sie auf und trat näher an das Fenster heran.
Zum Glück war heute weder ein Tourist noch ein Aufpasser in der Nähe, dessen Anwesenheit sie stören oder der sie daran hindern konnte, das Fenster zu berühren.
Nicht mit den Händen, sondern mit den Gedanken.
Syriah schickte ihren Geist aus, prallte jedoch augenblicklich zurück. Der Schock traf sie auch körperlich. Sie stürzte zu Boden.
Als sie sich wieder aufrichtete, fühlte sie eine kräftige Hand auf der Schulter. Sie wandte sich um, bereit, jederzeit zuzuschlagen.
Es war ein Priester. Es war lange her, dass Syriah einem seiner Kaste in die Augen geschaut hatte. Er war so groß wie sie, und unter der Soutane zeichneten sich breite Schultern ab. Sein sauber geschnittener Vollbart umrahmte männlich markante Gesichtszüge. Seine Augen funkelten wie kalte, hellgrüne Bergseen.
»Sie können hier nicht bleiben.« Seine Stimme drückte Autorität aus.
»Ich wollte nur …«
»Dies ist das Haus Gottes. Es bietet den Menschen Zuflucht und Heim. Für deinesgleichen ist hier kein Platz.«
Für meinesgleichen ist nirgendwo Platz .
Also wusste er, wer sie war. Er hatte sie erkannt, an ihrer Aura, ihrem Aussehen, woran auch immer. Sie hatte es mit einem echten Gläubigen zu tun.
»Keine Sorge, Pfaffe, ich beschmutze deine Kirche nicht. Wie heißt du, damit ich mir deinen Namen merken kann?«
»Pater Josephus.«
»Woran hast du mich erkannt, Hochwürden?« Das letzte Wort betonte sie ironisch.
»Jeder Mann Gottes erkennt dich. Du bist eine Seraphim, nicht wahr?«
Sollte sie ihn in dem Glauben lassen? Aber warum? Sie hatte es nicht nötig anzugeben. Warum seiner Überheblichkeit keinen Dämpfer versetzen? »Leider daneben, Pater. Ganz so offen kannst du anscheinend doch nicht in mir lesen.«
»Weil ich es nicht will. Es macht mich schon krank, dich nur anzuschauen. Ob Seraphim oder sonst was, ihr alle stammt vom selben Gezücht!« Er ärgerte sich, und das freute sie.
»Ich heiße Syriah.«
»Das interessiert mich nicht. Raus!« Er hob die Stimme, zügelte sich aber im letzten Moment, sodass die anderen Gläubigen es nicht mitbekamen.
Syriah grinste. Er war längst nicht so hart, wie sie anfangs geglaubt hatte. Hinter seiner unerschütterlich wirkenden Fassade glaubte sie nun sogar Angst zu spüren.
Angst vor ihr? Oder wusste er mehr? Spürte auch er, dass etwas anders war als sonst?
»Mein Name sollte dich aber interessieren. Genau wie das, was draußen vor sich geht.«
Sein Zorn verrauchte so schnell, wie er aufgeflammt war. Er konnte ihrem Blick nicht mehr standhalten. »Ich kann dich nicht zwingen, diesen heiligen Ort zu verlassen. Deshalb bitte ich dich darum.«
Syriah wies auf das verschlossene Portal. »Da draußen lauern drei Kreaturen. Sie warten nur darauf, dass ich herauskomme. Glaubst du, ich begehe Selbstmord?«
»Kreaturen wie du ziehen die anderen an«, bemerkte er. »Ich habe nichts dagegen, wenn ihr euch gegenseitig vernichtet.«
Syriah lachte auf. Spott lag in ihrer Stimme, als sie erwiderte: »Wie oft habe ich diese Diskussion mit euresgleichen geführt! Ihr macht es euch bequem hinter euren Phrasen und
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