Horror Factory 10 - Rachegeist
Geister-Instinkt.
»Siehst du’s, Daddy?«, quäkt Danny.
»Kriegen wir einen neuen Fernseher?«, fragt Jess.
»Langsam, Süße«, sagt Mike. »Wartet mal kurz …«
Er greift nach der Fernbedienung und schaltet den TV aus.
»Nein!«, entfährt es mir, und für einen kurzen Moment glaube ich, dass Danny mir genau in die Augen sieht.
Sein Mund steht weit offen.
Dann wird alles Schwarz.
Mal wieder.
Ist aber bloß der Fernseher.
Trotzdem fühlt es sich an, als würde ich ausgeschaltet.
Ich spüre ein Ziehen und frage mich, ob diese Anstrengung meine restliche Zeit aufgebraucht hat.
Überstürzt flüchte ich aus dem Gerät.
»Da, seht ihr. Geht wieder«, sagt Mike, als ich leicht desorientiert über dem TV auftauche.
»Cowabunga!«, ertönt es gerade in der Flimmerkiste, und Danny wiederholt quietschvergnügt den Schlachtruf.
Falls er etwas gesehen hat, das Mike und Jess entgangen ist, hat er es bereits vergessen.
*
Kann sich ein Geist erschöpft fühlen?
Schon möglich.
Jedenfalls fühle ich mich irgendwie ausgelaugt.
Ausgezehrt.
Dünn.
Ich traue mich nicht, es noch einmal mit dem Fernseher zu versuchen, um Kontakt aufzunehmen.
Das Ziehen hat sich übel angefühlt.
Was, wenn ich die Zeit, die mir bleibt, so noch schneller aufbrauche?
Ist mir die Aussprache mit Denise wichtiger als meine Rache an Marc und Elizabeth?
Was würde ich Denise oder meinen Enkeln überhaupt sagen?
Dass ihre Mutter beziehungsweise Großmutter mein Vermächtnis mit dem Kerl in den Schmutz zieht, mit dem sie schon lange durch die Laken turnt?
Dass ich die beiden umbringen will?
Kein guter Start für das erste Familiengespräch nach meinem Tod.
Für diese Erkenntnis muss man kein Therapeut sein.
Denise wusste außerdem von Marc und ihrer Mutter.
Länger als ich.
Darüber darf ich gar nicht zu intensiv nachdenken.
Noch ein Messer im Geister-Rücken.
Langsam geht mir der Platz aus.
Trotz des beunruhigenden Gefühls der Ausgezehrtheit haben mich die Versuche mit der Rasierklinge und dem TV ermutigt.
Nicht unbedingt beflügelt.
Aber ich sehe eine realistische Chance, doch noch einen Zugriff auf diese Welt zu kriegen.
Meine Rache zu bekommen.
Das Haus von Denise und ihrer jungen, kleinen Familie ist dafür allerdings der falsche Ort.
Ich muss zu Becca.
Rebecca.
Unsere Jüngste.
Die Rebellin.
Sie und Elizabeth haben sich nie gut verstanden.
Zu ihr muss ich, wenn ich etwas erreichen möchte.
*
Becca hat sich gerade von ihrem Freund getrennt.
Hab mir nie die Mühe gemacht, mir seinen Namen zu merken.
Oder kratzt mein neuer Zustand an meinen Erinnerungen?
Unwichtig.
Ich hoffe, dass Beccas Trennungsschmerz und die Trauer wegen meines Todes sie besonders empfänglich für eine Kontaktaufnahme machen.
Ziemlich egoistisch, nehme ich an.
Doch das Geistertum ist generell eher egozentrisch, habe ich den Eindruck.
Becca wohnt in einem Penthouse, das ich ihr finanziere.
Das ich ihr finanziert habe.
Immobilien sind besser als Gold, obwohl man weder das eine noch das andere mit hinübernehmen kann.
Becca studiert englische und amerikanische Literatur.
War damals mächtig stolz auf ihre Entscheidung.
Kann gut sein, dass sie und ihre Mutter sich deshalb nicht gut verstehen, weil Becca mir so ähnlich ist – und dass ich ihre ältere Schwester deshalb so vergöttert habe, weil sie ihrer Mutter so ähnlich ist.
Auf dem Weg zu Beccas Wohnung in der Nähe des Campus denke ich über Familie und das Konzept dahinter nach.
Lieber spät als nie, oder?
Becca ist zu Hause
Sie telefoniert.
»Ja, Mom. Ja. Von mir aus. Ja. Nein. Nein. Ja. Von mir aus. Ja. Ich werde kommen. Ja. Versprochen. Bis dann, Mom. Ja. Wirklich. Bye. Ja. Bye Mom. Bye.«
Becca rollt genervt mit den Augen und wirft das Handy achtlos aufs Designersofa.
Was man mit einem extraordinären Vorschuss so alles kauft.
Meine Kleine zündet sich eine Zigarette an.
Ich schwebe abwartend vor ihr.
Stelle mir vor, dass der von ihr durch die Nase ausgeatmete Rauch mich für sie sichtbar macht.
Doch so läuft das nun mal nicht.
»Hey, Prinzessin«, sage ich ihr dennoch von Angesicht zu Angesicht. »Du siehst gut aus.«
Tut sie wirklich.
Eine schmerzhafte Trennung?
Ein schmerzhafter Verlust?
Niemand würde es ihr ansehen.
Auch in dieser Hinsicht ist Becca nach mir geraten.
Wir tragen unsere Gefühle nicht zur Schau.
Wir bringen sie zu Papier.
Becca klappt ihr Macbook auf, öffnet das Schreibprogramm und beginnt, mit hartem Anschlag zu tippen.
Den
Weitere Kostenlose Bücher