Horror Factory 10 - Rachegeist
mich schon wieder zu abstrakt.
Bleibt das Telefon.
Ob es mir gelingt, darüber Kontakt zu Rodney aufzunehmen?
In Filmen klappt das eigentlich immer.
Das allein sollte mich schon stutzig machen.
Ich versuche es trotzdem.
Was bedeutet, dass ich erst einmal nur warte, dass ein Anruf reinkommt, den ich kapern könnte.
Der Samstag macht mir einen gewaltigen Strich durch die Rechnung, und so bleibt mir nichts anderes übrig, als es doch mit dem Licht zu probieren.
Zuerst kommt die modische Schreibtischlampe dran, die Rodney dankenswerterweise eingeschaltet hat.
Ich war nie eine besondere Leuchte in Physik.
Trotzdem richte ich jeden Gedanken auf die Elektrizität.
Den Strom.
Stelle mir vor, wie ich seinen Fluss verändere.
Blockiere.
Und irgendetwas mache ich wohl richtig.
Rodneys Lampe fängt an zu flackern.
Erst kaum merklich, dann immer heftiger.
»Was zum …?«, poltert Rodney und rollt mit seinem ledernen Schreibtischrollstuhl ein Stück vom Tisch fort.
Das motiviert mich.
Ich gebe mir noch mehr Mühe.
Nun flackert die Lampe mächtig.
Und Rodney fackelt nicht lange.
Er schaltet die Lampe einfach aus.
Ich sehe ihn gekränkt an.
Ein jähes Ende meines Erfolgsgefühls.
»Du Idiot!«, brülle ich Rodney ungehört an. »Kein Wunder, dass dich deine Frau nicht mehr ranlassen wollte!«
Rodney widmet sich wieder seinen Akten.
Meine Enttäuschung hält sich in Grenzen, als ich bei den ausgeschalteten Neonröhren keinen Erfolg habe.
Kein Strom, kein Geistersignal, schätze ich.
Mist.
Das war’s.
Mehr Möglichkeiten habe ich hier nicht.
Frustrierend angesichts meines Erfolgs mit der Schreibtischlampe, aber so ist es eben.
»Idiot«, sage ich noch einmal mit Nachdruck zu Rodney und verlasse die Kanzlei durch das nächstbeste Fenster im Büro, ohne einen Gedanken an die Tür zu verschwenden.
Langsam gewöhne ich mich an diesen Geisterscheiß.
*
Einer bleibt mir noch.
Nigel.
Ihn habe ich noch länger nicht gesehen als Rodney.
Wir lernten uns auf dem College kennen.
Wurden schnell Freunde.
Hat super gepasst.
Der Autor und der Maler.
Kreativ.
Versponnen.
Ehrgeizig.
Damit bekamen wir die Mädels lässig rum.
Den Rest erledigten das Gras und der Alkohol.
Dann lernte ich Elizabeth kennen.
Auf die altmodische Art.
Sie war die hübscheste Erstsemestlerin auf dem Campus.
Weil Nigel Elizabeth jedoch schon ein paar Monate vor mir auf einer Party kennengelernt hatte und damals mein Mitbewohner war, wurden die Dinge kompliziert.
Wir versuchten es, doch Elizabeth ist nie darüber hinweggekommen, dass Nigel sie nach einer Nacht wie ein Papiertaschentuch weggeworfen hat.
Für ihn und viele andere war das damals ganz normal.
Für Elizabeth war es eine Kränkung kosmischen Ausmaßes.
Ich musste mich entscheiden, und ich entschied mich für Elizabeth.
Ab und zu trafen Nigel und ich uns noch.
Nur wir beide.
Zwei alte Freunde, die etwas essen oder trinken gingen.
Über dies und jenes plauderten.
Aber es war nie wieder dasselbe.
Da war ein Riss in unserer Freundschaft, und er wurde unaufhaltsam größer.
Nach einiger Zeit verlegten wir uns auf Telefonate und später auf E-Mails, informierten einander primär über Publikationen oder Auftritte – und sprachen immer weniger über Privates.
Irgendwann schlief der Kontakt ganz ein.
Als ich mir Gedanken über meinen Freitod machte und an all die Menschen dachte, denen ich damit wohl wehtun würde, kam mir Nigel kein einziges Mal in den Sinn.
Erst jetzt, als ich angestrengt über einen Ersatz für Rodney meditierte, fiel mir Nigel ein.
Mein einstmals bester Freund.
Elizabeth hat unsere Freundschaft zerstört.
Ich war damals zu geil und zu verliebt, um sie zu hassen.
Aber Nigel?
Er hat ihr die Schuld gegeben.
Würde er mir jetzt helfen?
Einen Versuch ist es allemal wert.
Mir gehen langsam die Alternativen aus.
Und es ist doch ein Zeichen echter Freundschaft, dass man selbst nach langer Zeit da weitermacht, wo man aufgehört hat, oder?
Nigel wohnt zum Glück noch über der alten Fabrik.
Ein riesiges, modernisiertes Loft.
Ob er es inzwischen abbezahlt hat?
Ich weiß nicht, wie seine letzten Ausstellungen liefen.
Was für Aufträge er annimmt, um sich über Wasser zu halten.
Mehr Kunst oder mehr Kommerz.
Weiß nicht, ob er gerade eine Muse hat.
Wie es seinen Kindern geht.
Doch als ich in das Loft schwebe und seinen Bart und den Pferdeschwanz und das farbbespritzte Holzfäller-Hemd sehe, ist es, als wären wir beide wieder
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