Horror Factory 10 - Rachegeist
wegfahren, okay?«
»Was soll das denn heißen?«
»Shit, war nur Spaß.«
»Heute ist echt jeder ein Komiker.«
»Nur Galgenhumor. Braucht man bei dem Anblick.«
»Stimmt. Ich glaub, ich kotz gleich.«
»Dann bring ich besser ’ne zweite Tüte mit.«
Beide lachen krampfhaft.
Zum Ton gesellt sich nun auch wieder Bild.
Bin einigermaßen erleichtert, dass ich auf die tote Katze starre, egal wie unappetitlich der Anblick ist.
Kein Funken Leben mehr in ihr.
Kein Wunder.
Aber was für ein irrer Trip war das denn bitte gerade?
Jetzt könnte ich das neunmal kluge Mistviech sogar ganz gut gebrauchen.
Damit es mir erklärt, was passiert ist.
Aber die Mieze erklärt niemandem mehr was.
Wenigstens wäre damit geklärt, dass Katzen doch nur ein Leben haben.
Oder das arrogante Biest hat gelogen, was seine verbrauchten Leben angeht.
Nicht mein Problem, würde ich sagen.
*
Ich reime mir das Ganze so zusammen.
Als es die Katze erwischt hat, zog sich ihr Geist aus dem sterbenden Körper zurück.
Dadurch wurde in nächster Nähe ein Platz frei.
Diese Lücke habe ich kurzzeitig gefüllt.
Unfreiwillig und ungeplant, aber trotzdem.
Wird wohl eine Anziehungskraft zwischen sterbenden Körpern und unruhigen Geistern geben.
Morbider Magnetismus oder so was in der Art.
Dann hat mich der Körper wieder abgestoßen.
Das ist unterm Strich ziemlich unheimlich.
Und lässt zudem ein paar interessante Spekulationen zu.
Weshalb ich eine Weile durch die Gegend geistere und meinen Gedanken freien Lauf lasse.
Unter anderem darüber, wieso ich die Katze im Schlafzimmer überhaupt berühren konnte.
Am Hass allein kann es nicht gelegen haben.
Sicher, ich war verdammt wütend, aber das bin ich auch auf Marc, und den habe ich bisher nicht in die Finger bekommen.
Kann sein, dass es etwas damit zu tun hatte, dass mich die Katze von Anfang an sehen konnte.
Irgendetwas Exklusives zwischen Katzen und Geistern.
Wieso ist es so kompliziert, ein Geist zu sein?
Die durchschimmernden Typen, die in Filmen und Büchern und Comics herumspuken, scheinen immer viel mehr Spaß zu haben.
Liegt vermutlich an mir.
Mein nächster Stopp verspricht ebenfalls nicht unbedingt das, was man unter Spaß versteht.
Nicht mal Geisterspaß.
Ich erreiche das Krankenhaus.
Nachdem in den übrigen Abteilungen und Stationen alle auf dem Weg der Besserung zu sein schienen, warte ich im Eingangsbereich auf einen geeigneten Kandidaten.
In der mäßig gefüllten Notaufnahme geistere ich umher und lauere wie ein unsichtbarer Geier, Rachegedanken und Zeitdruck darauf, dass jemand reingebracht wird, dessen Leben am seidenen Faden hängt.
Darauf, dass bald ein Platz frei wird.
Denn wer weiß?
Jetzt habe ich ja eine ungefähre Ahnung davon, was abgeht.
Was möglich sein könnte.
Wenn ich mich genug anstrenge, kann ich den entsprechenden Körper vielleicht für eine Weile übernehmen.
Keinen Dunst, wie es danach weiterginge.
Warten, bis ich zusammengeflickt bin, den Körper gegen jeden anderen alten oder neuen Geist verteidigen, und dann nichts wie raus hier und zu Marc und Elizabeth und das Hackbeil schwingen?
Möglich.
Was soll’s.
Der nächste Schritt ist eher ein hypothetisches Problem.
Heute ist wohl kein guter Tag zum Sterben.
Kein geeigneter Kandidat weit und breit.
Von wegen Notaufnahme.
Ein Kleinkind mit einem gebrochenen Arm.
Eine angeknackste Nase nach einem Hockeyspiel.
Eine schwere Verbrennung.
Ein Erdnuss-Allergieschock.
Peanuts also.
Ich kann den Sensenmann förmlich gähnen und gelangweilt die Seite des neuen Pratchetts umblättern hören.
Dank der Uhr über der Anmelde-Theke weiß ich, dass ich bereits seit zweieinhalb Stunden warte.
Damit ist klar:
Das Krankenhaus ist eine Sackgasse.
Ein Ort, an dem ein Toter heute seine Zeit vergeudet, wenn er auf den Tod wartet.
Zumindest heute.
Pech für mich.
Glück für alle anderen.
Allerdings bietet das Leben ja weit mehr Sackgassen.
Man muss nur wissen, wo man sie zu suchen hat.
*
Mit der Dämmerung betrete ich das mieseste Viertel von Houston, das seine unglaubliche Kriminalitätsrate im Landesvergleich unter anderem dieser Gegend hier verdankt.
Wäre Dickens Texaner gewesen und würde er heute noch leben, hätte er über diese finsteren Straßen geschrieben.
Diese Brutstätte der Kriminalität und Gewalt.
Über jene, die von Armut und Schicksalsschlägen überrollt worden sind und genauso mittel- wie ziellos auf der Straße hausen, während das Leben an ihnen
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