Horror Factory 10 - Rachegeist
gleiten kann.
Der Zustand meiner Beute.
Außerdem kommt es mir so vor, als ob ich länger als zu Beginn meines Geisterdaseins in Dingen ausharren kann.
In Mauern oder Wänden.
Der Schwindel und die Panik sind zurückgegangen.
Denkbar, dass meine Fokussierung hilft.
Ich darf Crusoe nicht verlieren.
Aber ich darf ihn auch nicht noch mehr in Panik versetzen.
Am Ende rennt er mir noch vor ein Auto.
Verstohlen gleite ich ihm hinterher.
Beobachte ich ihn aus den Schatten in sicherer Distanz.
Fünf Querstraßen weiter scheint er mich bereits wieder vergessen zu haben.
Seine Flucht ist vorbei.
Geschäftig wühlt er in einem Müllcontainer, der so voll ist, dass der Abfall schon aus ihm herausquillt.
Wie Eingeweide.
Was Crusoe vor sich hin brabbelt, kann ich nicht verstehen.
Trotzdem komme ich ins Grübeln.
Ist er wirklich das Pferd, auf das ich setzen will?
Sollte ich mein Glück doch lieber noch einmal bei Rodney oder Nigel versuchen?
Aber es bleibt dabei.
Der verrückte Penner kann mich sehen.
Die anderen nicht.
Damit ist er mein bestes Pferd im Stall.
Traurig, aber wahr.
Ich muss wirklich verzweifelt sein.
*
Als ich mich Crusoe das nächste Mal zeige, wirkt er überraschend gefasst.
Mag daran liegen, dass er sich mit irgendeinem zusammengepanschten Fusel betäubt hat.
Er liegt in einer engen Sackgasse, die Nacht und den Regen als einzigen Schutz.
Als einzige Decke.
»Du bischt zurück«, nuschelt er.
»Ja«, erwidere ich vorsichtig. »Bin ich.«
»Was willscht du?«
»Ich brauche deine Hilfe.«
»Du? Wobei?«
»Rache«, sage ich ehrlich.
»An mir?«, fragt Crusoe erstaunlich gelassen.
Muss ein feiner Tropfen gewesen sein.
Echt guter Stoff.
»Nicht an dir«, beruhige ich ihn.
Aus der Nähe sehe ich, dass Crusoe noch nicht so alt ist, wie ich anfangs angenommen habe.
Das Gesicht unter dem Bart und dem Dreck und den Furchen, die das Leben auf der Straße gegraben hat, ist höchstens Ende vierzig.
Ein paar Stunden in der Badewanne einweichen, ein ordentlicher Haarschnitt und eine Rasur mit der Heckenschere, und Crusoe sähe vermutlich wieder halbwegs menschlich aus.
Wie jemand im Hungerstreik.
Aber menschlich.
»Rasche?«, macht er nun argwöhnisch. »An wem dann?«
»Spielt vorerst keine Rolle. Hilfst du mir?«
»Wobei?«
»Mich zu rächen.«
»Musch isch wohl.«
»Ach ja?«
»Ja. Du bischt ein Engel.«
»Ach so. Ja. Stimmt. Dir bleibt keine andere Wahl, was?«
»So ischt esch.«
»Kannst du noch andere Engel sehen?«
»Wasch?«
»Andere Engel. Andere wie mich. Sind noch andere hier?«
»Glaub nischt«, brummt Crusoe, bevor ihm das bärtige Kinn auf die Brust sackt und er in den Schlaf zurückgleitet. »Heute nischt. Schonscht … manschmal …«
»Gut«, sage ich leise und nicht, ohne einen unbehaglichen Blick in die Dunkelheit zu werfen.
Dort ist niemand.
Oder vielmehr:
Ich kann nichts und niemanden sehen.
*
»Ich bring niemanden um.«
»Aber du hast es selbst gesagt: Ich bin ein Engel. Du musst tun, was ich dir sage.«
»Wann hab ich das gesagt?«
»Gestern.«
»Kann mich nich erinnern.«
»Willst du damit sagen, ich lüge?«
»Nein. Nur, dass ich mich nich erinnern kann.«
»Glaub mir einfach.«
Diesmal antwortet Crusoe mit einem Grunzen.
Jetzt, da er seinen Rausch ausgeschlafen hat, ist er deutlich schwieriger in der Handhabe.
Falls er das jemals gewesen ist.
Wenigstens rennt er nicht mehr vor mir davon.
Zwar geht er unbeeindruckt seinem wirren Tagesablauf nach.
Doch er akzeptiert, dass ich ihn begleite, und unterhält sich mit mir und gibt mir meistens Antwort, während er in Sperrmüllhaufen und Abfalleimern wühlt, Passanten anschnorrt und vor Polizisten oder anderen Obdachlosen flüchtet, mit denen er Streit hat oder die stärker sind als er.
Was für ein Leben.
»Die beiden sind Diener des Bösen«, sage ich, während Crusoe einen Müllsack mit seinen langen Fingernägeln aufschlitzt und hektisch darin herumwühlt.
Er erinnert mich an ein Tier.
Nur welches?
Kein Tier ist so jämmerlich wie dieser Kerl.
»Diener des Teufels«, sage ich fest, als müsse ich mich selbst an den Worten festhalten.
Crusoe hört auf, in dem Beutel herumzufuhrwerken.
Mir ist ohnehin ein Rätsel, was er darin zu finden hofft.
Sind ausschließlich gebrauchte Windeln.
Crusoe wischt sich die Hände an seinem Mantel ab.
»Des Teufels?«, fragt er und sieht mich direkt an.
Das versucht er sonst lieber zu vermeiden.
»Ja«, bestätige ich glatt. »Sie dienen
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