Horror Factory 10 - Rachegeist
der Hölle.«
Crusoe starrt mich schweigend an.
»Sie müssen vernichtet werden«, sage ich eindringlich.
Für einen Moment starrt er mich noch an.
Dann zuckt er mit den spitzen Schultern und widmet sich wieder dem Müllsack und seinem ekelerregenden Inhalt.
Ich habe das Gefühl, dass das mit ihm und mir noch ein hartes Stück Arbeit wird.
Automatisch achte ich wieder mehr auf das permanente Ziehen und frage mich, wie viel Zeit mir noch bleibt.
Und ob es reichen wird.
*
Bin ich nun zwei oder drei Tage bei meinem neuen Freund?
Selbst eine so grobe Einschätzung eines Zeitraums macht mir Probleme, obwohl ich mir bei jedem Wechsel von Tag und Nacht fest vornehme, mitzuzählen.
Noch immer weiche ich nicht von Crusoes Seite.
Inzwischen weiß ich, dass sein Name Larry ist.
Er besteht aber darauf, Wild Bill genannt zu werden.
»Wild Bill«, schärfte er mir ein, als ich ihn daraufhin einmal kameradschaftlich Bill nannte. »Wild Bill.«
Die Frage, ob er Pete Dexters »Deadwood« gelesen hat, habe ich mir lieber von vornherein gespart.
Zumal ich glaube, dass er sich auch ohne Gespräche über unsere Lieblingsbücher darüber freut, dass ich hier bin.
Auf seine Weise meine Gesellschaft genießt.
Meine Aufmerksamkeit.
Leider kann ich nicht dasselbe in Bezug auf ihn sagen.
In den vergangenen Tagen habe ich mehr über das Leben auf der Straße herausgefunden, als mir lieb ist.
Larry …
Wild Bill.
Wild Bill ist zu verrückt, um wenigstens das bisschen Unterstützung anzunehmen, das man Leuten wie ihm bietet.
Er ist bereits zu weit von der Normalität fortgedriftet und in höchster geistiger Seenot.
Sein Kontakt auf andere Menschen beschränkt sich auf ein Minimum an unausweichlicher Notwendigkeit.
Einerseits bin ich ganz froh darum.
So erzählt er wenigstens keinem seiner Pennbrüder, dass ein Engel ihn zu einem Doppelmord anstiften möchte.
Andererseits ist er so aber auch verflucht schwer zu steuern, da seine Reaktionen nie genau vorherzusehen sind.
Im einen Augenblick wirkt er noch relativ gelassen, und im nächsten ist er am Schreien und Toben und rennt kreuz und quer durch die Gegend.
Heute hat er ein paar kalte Pommes aus dem Müll zu Abend gegessen und die letzten Schlucke aus einer Flasche Fusel getrunken, die er sich mit seiner Bettelei verdient hat.
Kaum dass die Flasche leer war, fing er an, mich mit schwerer Zunge anzuschreien.
Ich solle ihm beweisen, dass ich ein Engel sei und kein Dämon, der ihn verführen wolle.
Zwischendurch hat er die Pommes ausgekotzt.
Zum Glück hat ihn sein hochprozentiges Dessert schnell umgehauen.
Ich betrachte seine schlafende Gestalt.
Armer Tropf.
Welcher Weg ihn wohl hierhergeführt hat?
Welcher Schicksalsschlag?
Welcher Weg mich hierhergeführt hat, weiß ich hingegen noch immer ganz genau.
Wenn ich nicht Wild Bill bearbeite, denke ich an nichts anderes.
Elizabeth.
Marc.
Ihren doppelten Verrat.
Er wiegt noch immer schwerer als alles andere.
Allerdings ist der Alltag von Larry »Wild Bill« Crusoe ganz schön vereinnahmend und konsumierend.
Ich habe mich voll darauf eingelassen, ihn auf meine Seite zu ziehen und zum Instrument meiner Vergeltung zu machen.
Zeit, mal wieder einen Blick in mein altes Leben zu werfen und dort nach dem Stand der Dinge zu schauen.
Wild Bill wird bis zum Morgengrauen schlafen.
Mindestens.
Ich blicke auf seine hagere Gestalt.
Der Nieselregen malt Muster auf sein eingefallenes Gesicht und durchweicht seinen Mantel.
So wird er die Erkältung nie los.
Ich würde ihn gern mit dem Stück Plane zudecken, das er sich irgendwo geklaut hat und wie seinen Augapfel hütet.
Aber auch wenn er mich sehen und hören kann, so kann ich ihn doch genauso wenig berühren wie die Plane.
Er ist halt keine Katze.
Ich überlasse Wild Bill seiner verregneten Einsamkeit, die er auch all die vorherigen Nächte ohne mich überstanden hat, und fliege zurück zu meiner alten Wirkungsstätte.
Es ist wie die Reise in eine andere Welt.
Mit dem Geister-Express raus aus dem hässlichen grauen Elend und rein in die schöne grüne Vorstadt.
Marc und Elizabeth machen sich über den Kontrast keine Gedanken.
Sie genießen den vertrauten Komfort und ihre unverbrauchte Freiheit.
Erschöpft liegen sie da und schlafen.
Ich schwebe so lange über dem Doppelbett, bis ich mich wie ein perverser Stalker fühle und wütend weiterziehe.
Die Wut kehrt immer wieder zurück.
Ich habe keinen Hunger mehr.
Keinen Durst.
Mir ist nicht warm.
Nicht
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