Horror Factory 10 - Rachegeist
kalt.
Doch ich bin immer wieder von Neuem erzürnt.
Stinksauer.
Schreiend durch mein altes Haus zu geistern, ist komisch.
Ich spüre eine vage Verbindung, aber gleichzeitig auch eine große Distanz.
Leider fällt mir gerade keine geeignete Metapher dafür ein.
Ob das daran liegt, dass ich drei Tage auf dem sprachlichen Niveau eines Verrückten unterwegs war?
Oder lösen sich immer mehr Teile meines alten Selbst auf, angefangen mit meinen Autorenfähigkeiten?
Unruhig schwebe ich durch das große, stille Haus.
Im Wohnzimmer unten halte ich inne.
Die Entdeckung trifft mich völlig unvorbereitet.
Auf dem Tisch liegt eine Einladung.
Zu meiner Beerdigung.
Morgen Nachmittag.
Sechzehn Uhr.
Die zwei können es wohl gar nicht erwarten, mich unter der Erde verscharrt zu wissen.
Ich weiß nicht, ob ich Angst hatte, dass mich mein Besuch hier von meinem Plan abbringen könnte.
Ein Anflug von Akzeptanz.
Eine Einsicht in die Falschheit meines Trachtens.
Doch selbst wenn dem so gewesen wäre, hätten der Blick ins Schlafzimmer und die Einladung zu meiner Beerdigung genügt, um sofort wieder jeden Zweifel zu zerstreuen.
Sie müssen büßen.
Sie werden büßen.
Das ist alles, was noch zählt.
So lange ich noch Zeit habe, ist das mein Ziel.
Das und sonst nichts.
Ich ignoriere das Ziehen und verlasse das Haus.
*
»Ich will da nicht hin«, motzt Wild Bill zum hundertsten Mal, seit er seinen Marsch zum Glenwood Cemetery in der Washington Avenue angetreten hat.
Glenwood existiert seit 1872 und ist das River Oaks unter den Friedhöfen.
Ein riesiger Park mit alten Familiengräbern, Engelsstatuen und Brunnen im Schatten der Skyline von Houston.
»Man widerspricht keinem Engel, Larry«, sage ich geduldig, wobei ich absichtlich seinen richtigen Namen verwende.
»Ich heiß Wild Bill«, brummt mein verwahrloster Begleiter.
Ich betrachte ihn und hoffe, dass uns keine Cops anhalten.
Wild Bill fällt in dieser Gegend auf.
Ich ermahne ihn, sich hinter Bäumen und Büschen zu verstecken, wenn ein Auto kommt.
Was uns noch länger aufhält.
In zwei Stunden soll meine Leiche der Erde übergeben werden, die schon viele tote Persönlichkeiten aufgenommen hat.
Das letzte Geleit für Dylan T. Wood.
Vater.
Ehemann.
Bestseller-Autor.
Bis dahin muss ich Wild Bill an Ort und Stelle gebracht haben und außerdem irgendwie dazu kriegen, in der Nähe auf mich zu warten, derweil ich meiner Beisetzung beiwohne.
Da ich mir nur wenige Chancen ausrechne, Wild Bill in seinem runtergekommenen Mikrokosmos aus Irrsinn und Elend jemals wiederzufinden, muss er wohl oder übel mit.
Kann schon sein, dass der Wunsch, Gast auf meiner eigenen Beerdigung zu sein, ein irrational törichtes und morbides Verlangen ist, das mir nichts als Schwierigkeiten macht.
Besonders jetzt.
Aber wenn jemand das Recht hat, sich dem Morbiden und Makabren hinzugeben, dann doch wohl ein Geist.
»Dort gibt es Müllcontainer, die niemand plündert«, versuche ich Wild Bill einmal mehr zu locken.
»Welcher Engel interessiert sich denn für Müllcontainer?«, fragt er schlecht gelaunt zurück.
Ich merke, dass ich aufpassen muss.
Diese Stimmung ist neu.
Diese misstrauische Klarheit.
»Ein Engel muss alle Aspekte des Lebens kennen«, erkläre ich ihm daher möglichst vernünftig.
»Mh«, kommentiert Wild Bill.
Plötzlich bleibt er stehen.
»Wie ist der große Macker da oben eigentlich so?«, fragt er und sieht mich mit einem so wachen Blick an, dass ich mich am liebsten abwenden möchte.
Allerdings weiß ich, dass ich nun standhaft sein muss.
»Gott ist … kompliziert«, antworte ich. »Wie das Leben.«
Das scheint ihn zufriedenzustellen.
Zumindest setzt er sich wieder in Bewegung, und vielleicht schaffen wir es ja noch rechtzeitig zu meiner Beerdigung.
*
Während Wild Bill vergnügt wie ein Kind unterm Weihnachtsbaum in den Müll- und Altkleidercontainern außerhalb des Friedhofs wühlt, schwebe ich zwischen den Trauernden umher.
Familie.
Freunde.
Verlagsmitarbeiter.
Kollegen.
Alle tragen Schwarz.
Alles ist so, wie es sein sollte.
Oder zumindest so, wie ich es erwarte.
Natürlich steht Marc neben Elizabeth.
Becca ist da und steht ein wenig abseits der anderen.
Sie sieht schön aus in ihrem schwarzen Kleid.
Selbst der kleine Danny trägt einen Anzug.
Und kann es sein, dass Denise ihrer Mutter immer wieder giftige Blicke zuwirft?
Sogar Nigel und Rodney sind da.
Mein Tod hat sie alle wieder zusammengeführt.
Zu Lebzeiten ist mir das nie
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