Horror Factory - Das Grab: Bedenke, dass du sterben musst! (German Edition)
das, und nun … nun strotzt Ihr wieder vor Lebenskraft. Ihr habt ein zweites Leben geschenkt bekommen. Wisst es zu schätzen und dankt Gott dem Herrn …«
Es ist Edmond, der den Doktor bremst. »Ja, ein zweites Leben, eine zweite Chance – und womöglich ein Zeichen, sich eben diesem Leben wieder mehr zuzuwenden, nicht wahr, Freund?«
In diesem Moment will ich ihm nicht widersprechen. In diesem Moment überwiegt die Verwirrung, die mich immer noch fest in ihren Fängen hält.
Ich nicke und schenke uns allen noch einmal nach. Kurz darauf verabschiedet sich der Doktor. Ich begleite ihn zur Tür und bitte ihn: »Wenn Ihr unterwegs den Pfarrer seht, sagt ihm bitte, dass er wieder umkehren kann. Würdet Ihr das für mich tun?«
*
Nachdem der Doktor seine Kutsche bestiegen hat und Richtung Stratford davongefahren ist, kehre ich ins Haus zurück, wo Edmond unsere Gläser wieder aufgefüllt hat.
Zum ersten Mal seit unserem Streit beschließen wir wieder gemeinsam einen Tag, reden und reden. Bald ist meine Stimme heiser und seine nicht minder. Das alles bestimmende Thema ist meine – so nennen wir es – Auferstehung. Wie alles wirklich zugegangen sein mag mit mir, warum ich in totengleichen Schlaf fiel und dann viele Stunden später genauso unvermittelt wieder daraus erwachte, darauf finden wir keine Antwort, die uns zufriedenstellen könnte. Es ist und bleibt ein Mysterium, dem selbst ein erfahrener Arzt wie Dr. Burnett zum Opfer fiel.
»Wir glaubten, es läge an Elisabeth – du wärst ja nicht der Erste, der an gebrochenem Herzen stirbt.« Edmond schüttelt wieder und wieder den Kopf, wenn die Sprache darauf kommt.
Aber nicht nur darüber reden wir, sondern auch über meine innere Abkehr von Gott, die in der blasphemischen Inschrift über dem Eingang des Grabmals gipfelt. Ich habe das Haus seit meinem Erwachen noch nicht wieder verlassen, und deshalb frage ich Edmond: »Wie weit sind Meister Cunninghams Bemühungen gediehen?«
Sofort verfinstert sich die Miene meines Freundes. »Weit, sehr weit. Er hat die Worte, die du ihm befahlst, schon grob in den Stein gehauen. Ihnen fehlt der letzte Schliff, aber sie sind klar erkennbar.« Er presst die Lippen zusammen und richtet den Blick über den Rand seines Sherryglases auf mich. »Ist dir schon der Gedanke gekommen, dass das, was passierte, ein Warnschuss gewesen sein könnte – ein Warnschuss von …«, er zeigt nach oben, »… Ihm?«
»Wenn dem so wäre, hätte er mich besser tot gelassen!«
*
Wie genau es geschehen ist, weiß ich am Ende dieses denkwürdigen Tages selbst nicht – aber wir haben uns erneut entzweit. Und diesmal, so fürchte ich, lässt es sich nicht mehr kitten. Edmond scheint tatsächlich gehofft zu haben, dass mein Scheintod mich wieder zurück in die Arme des Schöpfers geführt hat. Und er machte deutlich, wie unerträglich der Gedanke für ihn ist, dass seine geliebte Schwester in einem Grabe liegen muss, das dem christlichen Glauben entweiht wurde.
In diesem Punkt gab ich mich unversöhnlich, und selbst in der Rückschau vermag ich daran nichts Falsches zu erkennen. Edmonds Standpunkt aber war ebenso unverrückbar wie der meine, und so … ja, und so musste es wohl im endgültigen Bruch zwischen uns enden.
Ich weine um unsere Freundschaft, aber mehr noch weine ich um das, worum Edmonds Gott mich betrog: um die vielen Jahre mit Liz, die sie und ich, die unsere unverbrüchliche Liebe verdient gehabt hätte.
Doch das Schicksal – Gott also – hat anders entschieden.
Und dafür hasse und verachte ich ihn, werde ihn bis an mein Lebensende hassen und verachten!
*
Es ist spät, und die Vernunft würde wohl gebieten, unverzüglich zu Bett zu gehen, dorthin, wo mein »Leichnam« während seiner Scheintodstarre aufgebahrt war. Dass ich es nicht tue, liegt nicht daran, dass die Vorstellung mich schrecken würde, sondern daran, dass die alte Sucht erwacht: die Sehnsucht, ihr, Liz, wieder so nah zu sein, wie es seit ihrem Dahinscheiden noch möglich ist. Und so nehme ich in dieser Nacht, nachdem Edmond fluchend aus dem Haus geeilt ist, wieder die Laterne zur Hand, um damit durch den dunklen Garten zur Gruft zu gehen.
Dort sehe ich dann im unruhigen Schein mit eigenen Augen, was Edmond mir schon ankündigte. Cunningham hat die Lettern GOTT! IST! TOT! – wie von mir gewünscht, jeweils mit einem Ausrufezeichen versehen – in den Steinbogen über der Pforte gehauen.
Ein böses Lachen legt sich um meinen Mund, als ich herausfordernd zum
Weitere Kostenlose Bücher