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Horror Factory - Glutherz

Horror Factory - Glutherz

Titel: Horror Factory - Glutherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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war in weiße Tücher gehüllt, die eng am Körper anlagen – wie eingewickelt. An einigen Stellen gab es dunkle Flecken, da war Blut durchgesickert. Erst viel später erfuhr ich, was eine Mumie ist – und genauso sah die Figur aus: Wie eine zum Leben erwachte Mumie aus Ägypten.
    Coppelius hob die Hände, woraufhin die Figur herumstakste wie eine Marionette. Die Menschen schrien erstaunt auf, als Coppelius eine kurze Bewegung machte und das Wesen ihm folgte. Belustigung entstand, als er es in Soldatenmanier hin- und hermarschieren ließ, doch dann – ich sah es genau – regten sich im Publikum die Zweifler. Es war ja auch zu primitiv. Natürlich steckte in der Mumienverkleidung ein Mensch. Und dieser Mensch tat so, als würde er Coppelius’ Gesten auf geheimnisvolle Weise folgen. Von Magie keine Spur. Es war ein billiger Trick.
    Der Zauberer schien zu spüren, welche Stimmung im Publikum aufkam. Der dürre Kapellmeister gab ein Zeichen. Die Musik trötete kurz. Es gab einen stehenden Trommelwirbel. Coppelius hob die Hände, und die Figur bückte sich und begann, ihre Bandagen abzuwickeln. Erst legte sie die Beine frei, und ein Schrei des Entsetzens ging durch den Saal, als die Beine zu sehen waren – dünne eiserne Stelzen, die nie und nimmer einem lebenden Menschen gehören konnten. Es ging weiter. Das Wesen entblößte das Gerüst des Unterkörpers, den Bauch- und Brustbereich, und am Ende stand da im Licht der Kerzen und vom Getöse der Trommel untermalt, ein eisernes Skelett, umgeben von den weißen Tüchern, die es sich selbst abgenommen hatte.
    Nun fehlte nur noch der Kopf, an den das Geschöpf zuletzt Hand anlegte. Und als ich sah, was es dort freilegte, begann alles in mir zu rebellieren. Etwas Säuerliches schoss innerlich in meinen Mund. Aber ich musste hinsehen, denn ich konnte nicht glauben, was ich da sah – ob ich einer Täuschung erlegen war oder nicht.
    Auf dem Metallskelett steckte Nathans Kopf!
    Das Publikum klatschte in den Trommelwirbel hinein. Coppelius hob die Hand, und Nathan bewegte seinen Metallkörper, um sich ungelenk nach allen Seiten zu verbeugen. Als er sich mir zuwandte, schien er mich zu erkennen. Er blickte mich an. Etwas glänzte an seiner Wange. Es mussten Tränen sein. Wahrscheinlich hätte er gerne so verweilt, dass wir noch einen kurzen Moment Blickkontakt halten konnten, aber Coppelius trieb ihn weiter an. Nathan verbeugte sich und verbeugte sich.
    Plötzlich wurde mir klar, dass ich schrie. So laut ich konnte, als müsse ich mit meinem Wehklagen die Mauern des Theaters zum Einsturz bringen, schrie ich in den riesigen Raum des Saales hinein.
    Mit einem Ruck wandten sich alle mir zu – das Publikum, Coppelius, Nathan und auch die Musiker.
    Der Trommelwirbel erstarb. Stille senkte sich über den Saal. Ich war aufgestanden, stand an der Brüstung. Mein Herz schlug wild gegen meine Brust, ich atmete schwer.
    Coppelius verzog das Gesicht zu einem spöttischen Grinsen. »Wie schön«, sagte er, »dass du gekommen bist, Olympia. Ich wusste, dass dich eine gelungene magische Vorstellung interessiert. Und wie ich sehe, habe ich dafür gesorgt, dass dein Herz seine volle Kraft entwickelt.«
    Ich hörte ihm gar nicht zu, hatte nur Augen für Nathan – oder was von ihm übrig geblieben war. Oder war er es gar nicht? Das metallene Wesen mit dem blutigen Kopf blickte mich traurig an.
    Coppelius bemerkte, dass ich ihm keine Aufmerksamkeit schenkte. Wütend wischte er einmal horizontal durch die Luft. Augenblicklich fielen die Glieder des Skeletts auseinander. Es war, als hätte jemand ihre Schrauben gelöst. Der Kopf knallte mit einem dumpfen Geräusch auf die Bühnenbretter und rollte ein Stück zur Seite. Nathans Augen besaßen immer noch denselben gequälten und sehnsüchtigen Ausdruck. Aber jetzt wirkte dieser Ausdruck wie erstarrt, wie von einer Wachspuppe.
    Diese Erkenntnis erleichterte mich. Denn das war ja der Beweis, dass es sich bei dem Skelett nicht um Nathan handelte. Ich hoffte es so stark, dass ich wirklich daran glaubte. Ich dachte mir, dass dieses unselige Geschöpf dort unten nur einer von Coppelius’ misslungenen Versuchen war, Professor Spalanzanis Kunst nachzumachen. Ihm ebenbürtig zu sein. Aber Coppelius war eben unvollkommen.
    In diesem Augenblick traf ein fürchterliches Wehklagen mein Ohr. Ich sah, dass sich der Mund in Nathans Kopf bewegte. Die Laute kamen aus seinem Mund. Es waren lange Töne, die das Geschöpf in den Saal schrie. Nur nach und nach und mit

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