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Horror Factory - Glutherz

Horror Factory - Glutherz

Titel: Horror Factory - Glutherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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größten Mühen artikulierten sich die Laute zu einer Botschaft, einer Aussage.
    »Olympia … Olympia«, schrie der Kopf. »Nimm dich in Acht, Olympia …«
    Die Kräfte schienen ihn zu verlassen. Coppelius trat brutal dazwischen, kickte die Metallteile mit seinem schwarzen Schuh zur Seite, fasste den Kopf an den Haaren und hob ihn auf. Er wirkte wie ein Henker, der einer rasenden Menge von Zuschauern nach der Hinrichtung zeigt, dass der Delinquent wirklich seinen Kopf verloren hat, dass der Kopf ganz und gar vom Körper getrennt wurde.
    Die Klagelaute erstarben. Der Kopf war tot. Doch der Schrecken hatte mich wieder erfasst, denn ich hatte Nathans Stimme erkannt. Und er hatte mich direkt angesprochen.
    Nein, dachte ich. Das ist nur einer von Coppelius’ Tricks. Er führt dir ein Trugbild vor, um dich gefügig zu machen.
    Aber so weit wollte ich es nicht kommen lassen. Ich musste hier weg. Automatisch tastete ich nach meiner Spieluhr. Ich sah an meiner Brust herab. Ach ja, sie war ja verschwunden …
    Als ich wieder aufsah, wurde mir klar, dass sich im Saal etwas verändert hatte. Auf der Bühne stand immer noch Coppelius und hielt, finster in den Saal blickend, den Kopf an den Haaren. Der Zuschauerraum verdunkelte sich. Aber das lag nicht an der Beleuchtung. Die Menschen in den Reihen des Saales verwandelten sich. Als wandere ein schwarzer Schleier durch den Raum, wurden alle – ob Frau in buntem Kleid, ob Herr im Gehrock, ob Kind oder alte Dame – zu den gesichtslosen Geschöpfen aus Coppelius’ Schattenarmee. Die Umhänge bildeten eine einzige dunkle Fläche, auf der die Zylinder matt glänzten. Auch die Musiker im Orchestergraben wurden von dieser Verwandlung erfasst. Ihre Instrumente verschwanden. Die Armee formierte sich zu einer einzigen Masse.
    Reflexartig drehte ich mich zum Ausgang der Loge, aber auch da standen sie schon. Und jetzt erhob sich die dunkle Fläche lautlos und füllte den Raum bis zur Decke. Und alles verschwand – die Stuhlreihen, die Bühne, die Loge, auch Coppelius. Es blieb nur Schwärze, die so dicht war, dass sie mir den Atem nahm.
    Und das Bewusstsein.

7
    Es war ein sanftes Streicheln, das mich weckte.
    Und eine sanfte Stimme.
    »Olympia. Ach, Olympia, wie gerne hätte ich dir das erspart.«
    Es war ein alter Mann, der da sprach. Ich erkannte ihn sofort.
    Es war Professor Spalanzani.
    Ich schlug die Augen auf.
    Ein faltiges Gesicht war über mir. Es gehörte zu einem kahlen Schädel, auf dem sich wie vereinzelte Staubfäden ein paar wenige graue Haare verloren.
    »Olympia. Endlich kommst du zu dir. Und du lebst. Nicht nur das. Du bist ein Mensch geworden.« Er seufzte tief.
    So alt der Professor auch war, er hatte junge, wache Augen.
    »Ja«, sagte ich. »Ich bin ein Mensch geworden. Und ich freue mich, Sie zu sehen …«
    »Es sind leider schlimme Umstände, die uns zusammengeführt haben. Coppelius hat gewonnen, Olympia. Du bist in seiner Gewalt. Er wird alles tun, um dir das Geheimnis zu entreißen. Und es wird ihm gelingen.« Wieder ein tiefes Seufzen. »Es wird die Welt auf den Kopf stellen. Wenn der Tod noch mehr Macht über das Leben gewinnt …«
    »Der Tod?«, fragte ich.
    Der Professor sah mich erstaunt an. »Natürlich der Tod. Was glaubst du, was Coppelius anderes ist? Die Balance zwischen dem Leben und dem Sterben ist eine natürliche Sache, Olympia. Aber wenn Coppelius die Macht erhält, künstliches Leben zu erschaffen, dann bekommt der Tod noch mehr Macht über das Leben …«
    Jetzt kam mir erst zu Bewusstsein, wo wir uns befanden. Es war ein Kerker. Dicke rohe Quadersteine bildeten die Wände. In einer Ecke gab es weit oben ein vergittertes Fenster.
    Von einem in die Wand eingelassenen Eisenring schlängelte sich eine Kette in den Raum, an die Spalanzani, der zerlumpte, schmutzige Kleidung trug, angeschmiedet war. Eine Manschette aus Eisen umschloss sein rechtes Handgelenk. Er konnte gerade so weit in den Raum gehen, dass es ihm gelang, zu mir zu kommen. Ich lag auf einer hölzernen Pritsche. Auch mich hatte man mit einer Kette gefesselt. Es war mir unmöglich, mich zu bewegen.
    »Ich hätte mit diesen Experimenten niemals beginnen sollen«, jammerte der Professor. »Im Grunde war ich selbst nicht darauf gefasst, dass ich einen so perfekten Automaten erschaffen würde, der den Neid des personifizierten Todes heraufbeschwört.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, nein … Das konnte niemand ahnen. Insofern bin ich also wiederum unschuldig. Was die Wissenschaft

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