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Horror Factory - Glutherz

Horror Factory - Glutherz

Titel: Horror Factory - Glutherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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hatte, nicht wahrgenommen.
    Nathan sprang auf. »Das ist Coppelius. Wir müssen verschwinden.«
    Ich folgte ihm zu der Tür.
    Das Summen fächerte sich in ein vielstimmiges Klanggewirr auf, das lauter und lauter wurde – wie ein gewaltiger Geisterchor, der das Haus umschloss wie eine Klangglocke. Ich konnte sogar die Vibrationen spüren, die die Töne verursachten. Mit einem Mal war der Klang so laut, dass Nathan schreien musste.
    »Nicht rausgehen«, rief er. »Lass uns hier drinnen bleiben.«
    Ich tastete nach meiner Spieluhr und drehte die Kurbel. Ich wusste, dass jetzt eigentlich die silberne Melodie erklingen sollte, aber sie ging in dem Geisterchor, der zu einem gigantischen Dröhnen angeschwollen war, einfach unter.
    Nathan sah, was ich tat. Ihm wurde klar, was geschah, und sein Gesicht überzog sich mit Blässe. Langsam gingen wir rückwärts von der Tür weg. Nathan ergriff meine Hand. Der Klang war zu einem Toben geworden. Um uns herum musste ein schrecklicher Sturm wüten.
    Ich sah Nathan an, und der Blick in seine Augen gab mir Trost.
    Wenn es das Letzte sein sollte, was ich jemals erblickte, dann waren seine Augen gut genug. Und wenn sein Händedruck das Letzte sein sollte, was ich jemals spürte, so war er das auch.
    Die Zeit schien sich zu dehnen. Gerne hätte ich mir die Ohren zugehalten, denn die Lautstärke war kaum noch zu ertragen. Aber dann hätte ich Nathan loslassen müssen, und das wollte ich nicht. Um keinen Preis.
    Mit letzter Kraft schien Nathan Worte zu formen.
    Irgendetwas wollte er mir sagen. Ich verstand es nicht. Ich versuchte, von seinen Lippen zu lesen, aber es gelang mir nicht.
    Ich lächelte. Wahrscheinlich wirkte es gequält, aber ich wollte die letzte Möglichkeit nutzen, um ihn irgendwie zu trösten. Und wenn es nur mit einem Lächeln war. Ich spürte genau, dass er wie ich empfand. Er lächelte zurück.
    Der Sturm dort draußen schien noch einmal Kraft zu sammeln, steigerte sich ein weiteres Mal. Und plötzlich war das Haus um uns herum verschwunden.

6
    Eine gewaltige Kraft hob mich nach oben. Ich setzte alles daran, Nathan nicht zu verlieren, aber auf einmal war er nicht mehr da. Ich riss die Augen auf, doch um mich herum war nur Dunkelheit. Absolute Finsternis. Und Stille. Die Plötzlichkeit, mit der das Dröhnen des Geisterchores abbrach, schmerzte fast.
    Und da erschien ein Mann vor mir. Er schwebte im Raum und sah mich an. Es war Hoffmann.
    »Es tut mir leid, kleine Olympia«, sagte er. »Aber was ein Mensch als Erstes lernen muss, ist, dass das Leben endlich ist. Alle Fantasie, alles, was wir uns ausdenken, alles, was wir ersinnen und erdichten, hat irgendwann ein Ende. Das musste auch ich erfahren.«
    »Aber Ihre Gestalten haben Macht«, rief ich ihm entgegen – in den dunklen Raum hinein. »Sie haben ein Eigenleben entwickelt. Sie existieren unabhängig von Ihren Ideen.«
    Hoffmann schmunzelte. »Glaubst du das wirklich? Olympia, du bist ein Kind, wenn du das glaubst.« Er runzelte die Stirn, schien nachzudenken. »Wobei ich zugeben muss, dass ich gerne auch selbst daran glauben würde.«
    »Dann tun Sie es doch«, rief ich. »Niemand hindert Sie daran. Schauen Sie mich an. Ich existiere. Und ich sage Ihnen, was Sie denken sollen. Ist das kein Beweis dafür, dass ich unabhängig von Ihren Ideen existiere?«
    »Mag sein. Doch jetzt kann ich nicht mehr. Du weißt, dass ich krank bin und dass bald – wie man so schön sagt – mein letztes Stündlein schlägt. Du wirst selbst sehen müssen, wie es weitergeht. Ich wünsche dir viel Glück, Olympia. Leider hat Coppelius im Moment die Oberhand. Ich kann nichts dagegen tun. Und ich kann dir auch deinen Nathan nicht zurückbringen.«
    Damit verblasste er. Seine Gestalt verschwand.
    Als hätte Hoffmanns Erscheinen den Geisterchor nur unterdrückt, nur auf eine andere Ebene geschoben, kehrte der Klang plötzlich zurück. Meine Füße spürten harten Boden. Ich stand auf dem Straßenpflaster vor einer Häuserzeile. Es war immer noch Nacht. Ein gemaltes Plakat krönte einen breiten Eingang. Die Straßenbeleuchtung – Flammen, also war ich in alter Zeit – fiel auf grellgelbe Buchstaben auf rotem Grund: Die große Schau des Magiers Coppelius .
    Das ganze Gebäude war ein kleiner Abklatsch von dem Theater, das ich gegenüber von Hoffmanns Haus gesehen hatte und auf dessen Dach ich gewesen war – heruntergekommen und viel primitiver. Die Fassade hatte Risse und bröckelte. Als ich die Tür aufdrückte, kam mir ein Schwall

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