Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Horror Factory - Glutherz

Horror Factory - Glutherz

Titel: Horror Factory - Glutherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
Vom Netzwerk:
unendlich weich und zart – und dieses Gefühl löste etwas in mir aus, das sich anfühlte, als ob ein Damm brach. Eine wohlige Wärme breitete sich in mir aus. Mir war es nicht bewusst gewesen, aber mein Inneres hatte sich bis jetzt kalt angefühlt. Metallisch.
    Du warst ein Automat, dachte ich. Ein Automat aus Zahnrädern und kleinen Hebeln, aus Metallstreben. Der Automat war sehr fein gearbeitet, wahrscheinlich waren all diese Dinge in dir unendlich klein und raffiniert gebaut, aber das ändert nichts daran, dass du ein Automat warst.
    Bis jetzt. Bis genau zu diesem Moment.
    Die überwältigende Empfindung, die ich Nathan entgegenbrachte, ließ mich ein Mensch werden.
    »Ich bin … ein Mensch«, sagte ich, und meine Stimme klang wieder heiser.
    Nathan nickte. »Fast«, sagte er. »Es ist wunderschön anzusehen, wie du … erwachst. Wenn nur Coppelius nicht wäre. Wenn er dich in seine Gewalt bringt, war alles umsonst.«
    »Warum bist du so traurig, Nathan? Wir können ihn besiegen. Sicher kann uns Hoffmann helfen, wenn uns gar nichts mehr einfällt, und …«
    »Hoffmann?« Nathan schüttelte den Kopf. »Natürlich weiß er eine Menge. Er hat diese Welt erfunden. Diese Welt und ihre Figuren. Dich, Coppelius, Spalanzani …«
    »Was? Wieso erfunden? Ich dachte, er hat nur über uns geschrieben. Er hat sich mit unserer Welt befasst. Hat sie erforscht. So ähnlich wie Doktor Wilhelmina …«
    Nathan packte meine Schultern. Jetzt war seine Berührung nicht mehr zärtlich, sondern fast brutal.
    »Olympia, es ist genau umgekehrt. Eigentlich lebst du nur in Hoffmanns Geist. In seiner Fantasie. Aber irgendetwas hat dich so real werden lassen, dass du fast ein Mensch bist. Aber Hoffmann -«
    »Sag, was mit Hoffmann ist.«
    Nathan kämpfte mit den Worten. »Er ist wahrscheinlich schon tot«, rang er sich schließlich ab.
    »Was?«
    »Ist dir nicht aufgefallen, dass er schwer krank war? Dass er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte? Das, was du gesehen hast, war gar nicht Hoffmann selbst. Es war sein Geist. Hoffmann lebt in demselben Haus, in dem sich die Dachkammer befindet. Er hat dort seine Wohnung. Und er liegt auf dem Sterbebett. Was wir hier erleben, ist wahrscheinlich das letzte Aufflackern seiner unglaublich starken Fantasie. Doktor Wilhelmina hat diese fantastischen Ideen erforscht. Sie hat herausgefunden, dass sich Hoffmann in vielen Dingen von der Stadt inspirieren ließ, in der er zuletzt lebte – der Stadt Berlin. Seine Fantasie muss so mächtig geworden sein, dass sie in seinen letzten Stunden die aberwitzigsten Kapriolen schlägt. Experimente, Zeitreisen, Schattenheere – all das erfindet er. Während er stirbt.«
    Was Nathan sagte, erschreckte mich. Aber mir wurde klar, dass ein Detail nicht stimmen konnte.
    »Wenn das stimmt«, sagte ich, »dann müsste mit Hoffmanns Tod alles verschwinden. Ich, Spalanzani, Coppelius und seine Schatten.«
    Nathan nickte. »Das stimmt auch.«
    »Und da es uns noch gibt, kann Hoffmann noch nicht gestorben sein.«
    »Das klingt logisch. Aber die Zeit wird knapp. Und das weiß Coppelius natürlich auch. Deswegen will er in den Besitz deines Herzens kommen, bevor Hoffmann die Augen schließt. Denn das hieße ewiges Leben. Für ihn. Für das Böse.«
    »Und gleichzeitig hält Coppelius Spalanzani gefangen und presst aus ihm die Geheimnisse heraus, mit denen man das Leben erschafft … Das heißt doch, dass es nur einen einzigen Weg gibt: Ich muss Coppelius besiegen.«
    Nathan seufzte. »Ich weiß nicht, was der Professor in dich eingebaut hat, dass du so halsstarrig bist. Am liebsten würde ich dich irgendwo in einen Schrank stellen, und dann abwarten.«
    »Das würdest du? Warum?«
    »Weil … mir eben viel an dir liegt.«
    »An einem halb fertigen Menschen? An einem Automaten, der immer noch kein Mensch ist?«
    Sein Gesicht kam im Dunkeln näher, und auf einmal fühlte ich einen weichen Druck auf meinen Lippen. Der Schauer, der mich bei seiner Berührung an der Wange erfasst hatte, kehrte zurück – aber viel stärker als beim ersten Mal. Und er steigerte sich zu einer heißen Flamme. Wie von selbst drängte sich ihm mein Gesicht, mein Körper entgegen, und ich hatte plötzlich nur einen einzigen Wunsch: Dass es niemals aufhören sollte.
    Doch mit einem Ruck machte sich Nathan von mir los.
    »Hörst du das?«, flüsterte er.
    Jetzt wurde es mir auch bewusst. Es war ein feines Summen in der Luft, und ich hatte es in dem seltsamen Rausch, der mich eben noch erfasst

Weitere Kostenlose Bücher