Horror Factory - Glutherz
die Harmonie des Universums nicht mehr zum Klingen bringen. Sie hatte den Tod wahrscheinlich ferngehalten, indem sie ihm das Ewige, die ewigen Wahrheiten vorführte. Gesetze, an die er sich auch halten musste. Auch der Tod war nicht allmächtig. Noch nicht.
»Beginnen wir mit der Prozedur, kleine Olympia. Ich kann dir nicht versprechen, dass es nicht wehtun wird. Viele meiner Opfer klagen über Schmerzen, weißt du.«
Ich ärgerte mich, weil es mir nicht gelang, meine Gedanken zu ordnen. Auf der einen Seite suchte ich nach einem Ausweg, nach einer Tür, durch die ich entwischen konnte. Aber da war natürlich nichts. Coppelius’ Welt war leer, und ich war ja schon in dieser Welt, in der Welt des Todes.
Auf der anderen Seite grübelte ich gleichzeitig darüber nach, wie die geheimen Gesetzmäßigkeiten der ewigen Harmonie auf den Tod wirkten. Warum man ihm die Spieluhr vorspielen musste, damit er – von den Gesetzen dieser Harmonie abgeschreckt – in seine Schranken gewiesen wurde.
Und ich fragte mich, warum ich eigentlich hier war. Warum ich? Es gab jede Menge Menschen, die der Tod in seine Gewalt bekam. Die er analysieren konnte. Menschen, die ein wirkliches lebendiges Herz in sich trugen. Denn ich, das musste ich einsehen, war bei allem, was ich auf meinem Weg zur Menschwerdung auch erreicht hatte, doch eben nur ein Automat. Mit einem sehr guten, einem echten Herzen, aber eben nur doch nur ein Automat.
Eine Scheinlebendige.
Mir kam ein abstruser Gedanke. Wenn ich, da ich ja gar nicht wirklich lebte, starb – würde ich dann vielleicht gar nicht verschwinden, sondern ein wirkliches Leben erreichen?
Nein, Unsinn. Was mit mir geschehen war, lag einzig und allein an der Genialität von Professor Spalanzani. Und Coppelius würde mich ja gar nicht töten. Er würde mich abschalten wie eine Maschine. Das hieß: Ich würde nicht sterben. Ich würde … ja was?
Ich spürte, dass es wieder ein Oben und ein Unten gab. Licht flackerte auf. Ich lag auf dem Rücken. Sofort versuchte ich, meine Arme und Beine zu bewegen. Es ging nicht. Man hatte mich festgeschnallt.
Coppelius beugte sich über mich. Er hatte weiße Kleidung an. Es war eine Art Kittel. Das Licht wurde noch heller und blendete mich.
»Was geschieht mit mir?«, fragte ich.
Coppelius antwortete nicht. Er wandte sich etwas zu, das neben ihm auf einem Tablett lag. Ich erkannte Werkzeuge. Sie glänzten metallisch.
»Ich habe dir gesagt, was nun geschieht«, erklärte er, ohne den Blick von dem Tablett abzuwenden.
»Nein, ich meine … danach.«
Er drehte den Kopf und sah mich erstaunt an.
»Danach? Das zu wissen, liegt nicht in meiner Macht.«
»Aber ich habe etwas darüber gelesen«, rief ich. »Es gibt viele Menschen, die nicht an Ihre schwarze Welt glauben. Sie glauben an ein Leben nach dem Tod. Sie glauben, dass man woanders weiterlebt. Vielleicht nicht sofort, sondern irgendwann. Wenn die Welt verschwindet. Aber dann lebt man ewig.«
Coppelius schüttelte den Kopf. Dabei lächelte er, als hätte ich etwas unglaublich Dummes gesagt. »Wie soll man ewig leben, wenn die Welt nicht mehr existiert?«
Das wusste ich auch nicht. Aber mir war auf einmal klar, dass es jemanden gab, der es wissen konnte.
»Es gibt jemanden, der das weiß!«
»So?« Er ordnete wieder seine Instrumente und griff nach etwas, das wie eine Säge aussah. Sie war sehr klein, gerade mal so lang wie ein Finger. Ein Präzisionsinstrument für den ersten Schnitt, um an mein Herz zu kommen.
»Er hat sich mir noch nicht vorgestellt. Und ich lerne eine Menge Leute kennen, glaub mir.«
Und auf einmal, in der kurzen Zeitspanne, in der Coppelius die kleine Säge auf meinen Oberkörper setzte – prüfend nur, aber bis zum ersten Schnitt würden nur noch wenige Atemzüge vergehen -, in diesem Moment wurde mir klar, wie alles zusammenhing. Wahrscheinlich zusammenhing. Zusammenhängen musste.
8
»Hoffmann weiß alles.«
Coppelius ließ sich nicht beeindrucken. Offenbar war die Säge nicht für seine Zwecke geeignet. Schließlich musste er sehr genau arbeiten. Das Herz entfernen, ohne es zu zerstören.
»Wer ist Hoffmann?«
»Sie kennen ihn nicht?«, sagte ich – ehrlich erstaunt.
»Nein.«
Jetzt hatte der Magier ein kleines Messer in der Hand. Heute weiß ich, dass man es Skalpell nennt. »Das ist nun genug Fragerei.«
Ich hörte nicht auf ihn, redete einfach weiter.
»Hoffmann ist der Mann, der alles weiß.«
Coppelius schüttelte den Kopf. »Nein. Professor Spalanzani war
Weitere Kostenlose Bücher