Horror Factory - Glutherz
der, der alles weiß«
»Sie irren sich. Hoffmann ist der Mann, der Spalanzani erschaffen hat. Der mich erschaffen hat.«
»Du redest Unsinn, mein Kind.«
»Wenn Sie der Tod sind«, sagte ich, »müssen Sie Hoffmann kennen. Er liegt im Sterben. Er ist ein Kandidat für Sie. Vielleicht ist er auch schon tot, ich weiß es nicht. Obwohl – wenn er tot wäre, würde ja alles verschwinden.«
»Ich hätte nicht gedacht«, sagte er, »dass Spalanzani so gut gearbeitet hat. Dass er nicht nur einen Automaten zum Leben erweckte, sondern auch noch einen Automaten mit Fantasie.«
Er ließ sich einfach nicht überzeugen. Aber es musste doch möglich sein … Da fiel mir noch etwas ein: »In der Dachkammer in dem Haus, in dem Hoffmann lebt – wahrscheinlich noch lebt -, sind die Schriften von Spalanzani aufgehoben. Als ich mein Bewusstsein erlangte, habe ich sie gelesen. Ich weiß alles über seine Forschungen. Und ich weiß, welche Rolle Hoffmann spielt. Anstatt mich umzubringen, sollten Sie dafür kämpfen, dass Hoffmann am Leben bleibt. Denn er ist die Quelle zu allem. Stirbt er, stirbt alles. Es kann jeden Moment so weit sein.«
Coppelius hatte das Skalpell auf das Tablett gelegt und sah mich erstaunt an. »Wo liegt das Haus, das du meinst?«, fragte er. »Wenn es stimmt, was du sagst, musst du es wissen. Sprich.«
»Es liegt schräg gegenüber dem Theater«, sagte ich. An einer Ecke. »Da steht auch eine Kirche …« Ich beschrieb alles so genau, wie ich konnte, und dabei wurde Coppelius immer ärgerlicher. Schließlich fegte er mit einem Handschlag das Tablett mit seinen chirurgischen Instrumenten zur Seite, sodass all die Skalpelle, Sägen, Haken und Bohrer klirrend in alle Ecken flogen.
»Das einzige Haus, das ich bisher nicht betreten konnte«, schrie er. »In dem ein Mann liegt, der sich vehement gegen den Tod wehrt. Und das mit Erfolg. So etwas habe ich noch nie erlebt.«
»Dieser Mann ist Hoffmann«, sagte ich. »Er wehrt sich, indem er im Sterben noch Geschichten erfindet. Und diese Geschichten – das sind wir. Verstehen Sie das nicht? Wenn Sie wirklich alles beherrschen wollen, dann brauchen Sie Hoffmann. Doch Sie können nicht zu ihm gehen. Denn wenn der Tod zu Hoffmann kommt, wird er sterben. Und alles ist vorbei.«
Er sah mich fassungslos an. »Aber dein Herz ist so perfekt. Es ist fast menschlich. Was sage ich – mehr als fast . Es ist von einem echten Herzen nicht zu unterscheiden. Es wird noch lange leben. Und nicht als Automat.«
Das Licht flackerte, verlosch.
Der Raum, in dem ich gelegen hatte, löste sich auf. Coppelius und ich trieben durch die Schwärze.
»Ich hätte gerne Macht über dich«, sagte Coppelius, und seine Stimme schien in dem weiten Raum von unsichtbaren Wänden wie ein Nachhall zurückgeworfen zu werden. »Aber erst müssen wir Hoffmann finden.«
Plötzlich packte mich Angst. Coppelius würde Hoffmann etwas antun. Aber andererseits …
»Wenn Sie sein Haus nicht betreten können«, rief ich, und legte so viel Selbstbewusstsein wie möglich in meine Stimme, »dann werden Sie ihn niemals bekommen. Hoffmann weiß das. Und er weiß, wie er sich gegen Sie schützen kann. Er liegt im Sterben, aber er kämpft mit aller Macht gegen den Tod. Und die einzige Macht, die ihm noch bleibt, ist seine Fantasie.«
Coppelius schwieg, während wir dahintrieben. Irgendwo weit in der Ferne erkannte ich einen kleinen Gegenstand, der immer größer wurde. Erst sah er aus wie ein Stein, dann zeigte sich etwas Dunkles, Spitzes darauf, das wie ein Dach wirkte. Schließlich war ich in der Lage, die Fenster zu unterscheiden.
Es war ein Haus.
Und es trieb wie ein Würfel ebenfalls alleine durch diese Schwärze.
Immer größer wurde es, bis es so riesig war wie in Wirklichkeit.
Was dachte ich da? Wie in Wirklichkeit?
Es war doch die Wirklichkeit, die ich hier erlebte. Es war Hoffmanns Haus, und auf einmal war auch die Straße da, ich sah die Laternen, das nass glänzende Pflaster. Als ich mich umdrehte, war da der Platz mit dem kuppelförmigen Kirchendach und mit dem Theater.
Noch immer herrschte tiefe Nacht über Berlin.
Es schien eine Nacht zu sein, die niemals endete. Auch das muss an Hoffmann liegen, dachte ich. Seine Zeit ist die Nacht. Seine Geschichten sind die Nacht, und es bleibt für uns alle Nacht, solange er lebt.
Aber was war mit Doktor Wilhelmina? Mit Nathan? Sie lebten in einer anderen Zeit, in einer Zukunft, die wahrscheinlich Jahrhunderte später lag als diese Welt hier.
Auch
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