Hosen runter: Roman (German Edition)
Therapeutin«, sagte sie mit einer Stimme, die der reinste Porno war. Wäre ich ein Schäferhund, ich hätte mit dem Schwanz gewedelt und dabei gehechelt. Ich begnügte mich damit, artig Sitz zu machen und den Anweisungen meines neuen Frauchens zu folgen. »Ich möchte gleich zu Anfang etwas über diese Sitzungen klarstellen«, sagte FrauGassner und musterte mich. »Dies ist eine freiwillige Gesprächstherapie. Sie sind hier, um sich in der Gruppe über Ihre Probleme Klarheit zu verschaffen und sich dabei gegenseitig zu helfen. Niemand wird Sie hier für das, worunter Sie leiden, verurteilen«, beruhigte sie uns. Ich suchte an ihren Fingern nach einem Ehering, den ihr ein Herr Gassner angesteckt hatte. Vergeblich. Erneut sah sie mich an. »Wir sollten uns kurz vorstellen. Fangen wir doch bei Ihnen an. Wie heißen Sie denn nun – Tom oder Hermann?«
Diese nicht allzu schwere Frage traf mich vollkommen unvorbereitet. Plötzlich herrschte Stille. Alle warteten darauf, dass ich meinen Namen kundtat.
»Ich bin Tom«, hörte ich mich plötzlich sagen. »Ich bin Inhaber eines Dessousgeschäfts.«
»Und weshalb sind Sie hier, Tom?«
»Ich bin hier, weil ich lernen will, mehr Tiefe in meinem Gefühlsleben zuzulassen.«
Ralph sah mich an wie einen Außerirdischen. Ich hätte mir selbst eine reinhauen können. Mann, hatte ich das wirklich gerade gesagt? Doch die Therapeutin nickte nur zustimmend und gab schon dem nächsten Delinquenten das Wort. Der legte weiter seine plakative Lustlosigkeit an den Tag, aber wenigstens kraulte er sich nicht mehr im Schritt.
»Ich bin Thilo und eigentlich nur hier, weil meine Verlobte es will«, ließ er uns wissen.
Frau Gassner nahm es sachlich zur Kenntnis. »Die Treffen dieser Gruppe sind zeitlich begrenzt. Ihre Qual wird also irgendwann ein Ende haben«, machte sie ihmHoffnung und wandte sich an den Nächsten, einen etwas pummligen Typen in Hemd und Pulli mit V-Ausschnitt.
»Ich heiße Oliver, bin Bankkaufmann, siebenundvierzig Jahre alt. Kinderlos verheiratet. Genau das ist das Problem für meine Frau, sie will ein Baby. Unbedingt. Und ich will keins.«
»Haben Sie es schon einmal mit einer Paartherapie versucht?«
»Vor einem Jahr, weil mich meine Frau sehr mit ihrem Kinderwunsch bedrängt hat. Seitdem gibt es, äh, … Schwierigkeiten mit dem ehelichen Verkehr. Also …, ähm, genauer gesagt … Erektionsschwierigkeiten.«
»Alter! Too much information!«, schnaubte der Proll.
»Nein, das sind genau die Informationen, die wir benötigen, denn es geht hier darum, Ihnen Gelegenheit zu geben, die Probleme ohne Hemmungen anzusprechen«, belehrte sie ihn und notierte sich etwas auf ihrem Schreibblock. Danach zeigte sie mit dem Stift auf Ralph, dem der Schweiß auf der Oberlippe stand.
»Ja. Also … Ich bin der Ralph und arbeite in der Personalabteilung eines Mieterschutzvereins. Das wird immer wichtiger, denn seit vielen Jahren wird politisch Druck auf Ämter ausgeübt, die Mieterrechte in Berlin zu reduzieren. Die Stadt braucht Investoren, und deswegen wird ein Klima geschaffen, in dem Vermieter und Hausbesitzer sich quasi alles erlauben können.« Mir wurde klar, warum Ralph bei Dates schon nach einer halben Minute von den Damen unter fadenscheinigen Vorwänden verlassen wurde. Welche Frau wollteso vollgetextet werden, wenn sie nur nach seinem Vornamen fragte? Selbst Frau Gassner brauchte ein paar Sekunden, um sich davon zu erholen.
»Wie schön, Ralph. Und warum sind Sie hier?«
»Ich hatte noch nie eine feste Freundin. Und seit einer Ewigkeit keinen Sex mehr. Noch nicht einmal einen One-Night-Stand. Kein Date. Nichts. Mein letztes Mal ist über zehn Jahre her. Und jetzt dachte ich mir, dass … ähm … na ja, dass vielleicht ein tief sitzender Bindungskomplex der Grund dafür sein könnte.«
Ich musste mich doch sehr wundern, was Ralph da erzählte. Aber unsere Therapeutin schien mit der Selbstdiagnose einverstanden und nickte ihm zu.
»Und wer sind Sie?«, wandte sie sich an den Letzten in unserer Reihe.
Er trug eine Betonfrisur mit Seitenscheitel, aber ich fand ihn sympathisch. Irgendetwas Schräges war an ihm, das ich mochte. »Ich bin Chris. Früher habe ich in einer Szenebar in Schöneberg gearbeitet, die es aber nicht mehr gibt.« Er nannte einen Namen, aber niemand erinnerte sich an den Laden. »Jetzt bin ich Immobilienmakler, spezialisiert auf Einfamilienhäuser im Speckgürtel, und habe eine Sechzig-Stunden-Woche«, sagte er fast ein wenig wehmütig.
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