Hostage - Entführt
beendete das Gespräch. Seine Hände zitterten so stark, dass ihm das Telefon runterfiel. Er atmete tief durch, dann noch mal, aber er wurde dadurch nicht ruhiger.
»Alles klar, Chief?«, fragte Jorgenson.
Talley machte eine bejahende Geste.
Die Hubschrauber waren noch immer über ihnen. Sie standen in der Luft – also wurde gefilmt.
Talley steckte sein Handy in die Tasche, sagte zu Jorgenson, er solle ihn anrufen, wenn sich was Neues ergebe, und fuhr im Rückwärtsgang aus der Sackgasse. Ein Gespräch mit einem verängstigten 22-jährigen Burschen, und schon glaubte er, sich übergeben zu müssen. Larry Anders wartete mit zwei weiteren Polizisten – mit Scott Campbell und Leigh Metzger, die zu Talleys Dienststelle gehörten – an der Einmündung. Campbell war ein pensionierter Sicherheitsbeamter aus Bakersfield, der bei der Polizei von Bristo seine Rente aufbesserte. Metzger, eine allein erziehende Mutter, hatte acht Jahre bei der Polizei von San Bernardino als Ausbilderin gearbeitet. Sie hatte kaum praktische Erfahrung. Der Anblick der beiden flößte Talley keinerlei Zuversicht ein.
»Mann, Larry – sind die Sheriffs eigentlich zu Fuß unterwegs? Wo bleiben sie denn?«
»Sarah hat vorhin mit ihnen telefoniert, Chief – Sie sollen zurückrufen.«
Talley spürte, wie sich sein Magen zusammenzog.
»Was gibt's denn?«
»Keine Ahnung. Und die Journalisten wollen wissen, was los ist. Beim Minimart sind schon Reporter; andere sind hierher unterwegs.«
Talley fuhr sich übers Gesicht und sah auf die Uhr. Vor knapp einer Stunde war Junior Kim überfallen worden, und seither war Talleys Welt auf die Größe einer Wohnsiedlung zusammengeschnurrt.
»Lass die Journalisten nach York Estates rein, aber nicht in die Nähe der Sackgasse.«
»Weiter hinten ist ein unbebautes Grundstück. Soll ich sie dahin schicken?«
»Prima. Und sorg dafür, dass sie nicht durch die Gegend laufen. Ich komm in ein paar Minuten hin und geb eine Erklärung ab.«
Talley ging zu seinem Wagen und sagte sich, eigentlich laufe doch alles glatt – er hatte den Kontakt hergestellt und herausgefunden, dass alle drei Täter im Haus waren; und es wurde nicht geschossen. Als er die Fahrertür öffnete, schlug die Hitze ihm wie aus einem Backofen entgegen. Er war so ausgelaugt, dass ihm das egal war, und funkte die Zentrale an.
»Hast du ein paar gute Nachrichten, Sarah? Die könnte ich brauchen.«
»Die Autobahnpolizei schickt sechs Streifenwagen aus Santa Clarita und Palmdale. Sie sind schon unterwegs und dürften in zehn Minuten da sein.«
Streifenwagen.
»Wo bleiben das SEK und die Unterhändler? Sie müssen dringend in Stellung gehen.«
Talley war es gleichgültig, dass seine Stimme schrill klang.
»Tut mir Leid, Chief. Die hängen alle in Pico Rivera fest. Aber sie kommen so schnell wie möglich, haben sie gesagt.«
»Na klasse! Und was sollen wir bis dahin machen?«
»Sie haben gemeint, Sie müssten die Sache wohl selber schaukeln, Chief.«
Talley hielt das Mikro im Schoß. Er hatte keine Kraft, es zu heben.
»Chief? Sind Sie noch dran?«
Er zog die Autotür zu, ließ den Wagen an und schaltete die Klimaanlage ein. Anders und Campbell sahen zu ihm rüber, als sie den Motor anspringen hörten, und wirkten irritiert, dass er nicht losfuhr. Talley richtete die Gebläsedüsen so aus, dass ihm kalte Luft ins Gesicht wehte. Er zitterte so stark, dass er die Hände unter die Beine schob. Er hatte Angst; er schämte sich; er grub seine Hände in die Oberschenkel und sagte sich, er sei hier nicht in Los Angeles; er sei nicht länger Unterhändler; die Verantwortung für das Überleben der Leute im Haus liege nicht bei ihm. Er musste nur vor Ort bleiben, bis die Sheriffs den Fall übernahmen. Danach konnte er wieder zu seiner Plantage zurück und in den vollkommenen Frieden eintauchen. In die Reglosigkeit. Es war nur eine Frage von Minuten. Von Sekunden. Und ein paar Sekunden – so sagte er sich – kann jeder aushalten. Das sagte er sich. Aber er glaubte nicht daran.
4
Freitag, 16:22
Dennis
Dennis knallte wütend den Hörer auf die Gabel und schrie: »Du Arschloch!«
Was hatte dieser Talley für einen Quatsch erzählt! Dieses Gerede, er wolle eine friedliche Lösung; sein Versprechen, das Haus werde nicht gestürmt. Dabei war die Situation für die Bullen sonnenklar – ein Polizist war niedergeschossen worden, und dafür musste jemand büßen. Diese Schweine würden ihn doch bei erster Gelegenheit abknallen und ihm
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