Hostage - Entführt
keine Möglichkeit geben, sich vor Gericht zu verantworten. Dieser Talley wollte ihn wahrscheinlich persönlich umblasen. Dennis war so aufgebracht, dass er Bauchschmerzen bekam.
»Was wollten die?«, fragte Mars.
»Was glaubst du wohl, hm? Dass wir aufgeben natürlich.«
Mars zuckte die Achseln und sah einfältig drein.
»Ich geb nicht auf.«
Dennis starrte zornig auf Jennifer und Thomas, die bei ihrem alten Herrn kauerten, und stampfte dann aus dem Arbeitszimmer. Er musste einen Weg finden, aus dem Haus zu kommen. Bloß weg von der Polizei. Er brauchte einen Plan. Im Gehen konnte er besser denken, denn dabei ließ die Angst, in der Falle zu sitzen, etwas nach. Er war in einem Bonzenhaus. Und was hatte er davon? Nur das Gefühl, dass dieser Prachtschuppen ihm die Luft abdrückte. Wenn er sich übergeben musste, dann jedenfalls nicht in Gegenwart von Mars.
Dennis ging durch die Küche zur Garage. Der Autoschlüssel hing dort, wo der Mann gesagt hatte – an einem Lochbrett neben der Speisekammer. Er stieß die Tür zur Garage auf. Ein großer, schimmernder Jaguar und ein Range Rover standen bereit, beide erst ein paar Jahre alt. Dennis sah nach, wie viel Benzin im Jaguar war – der Tank war voll. Wenn der Pick-up nur fünf Minuten früher kaputtgegangen wäre, wenn sie dieses Haus nur fünf Minuten früher erreicht hätten, wenn sie mit dem schicken Jaguar nur fünf Minuten früher losgefahren wären, würde sie jetzt keine Anklage wegen Mordes erwarten. Dann säßen sie jetzt nicht in der Falle.
Dennis schlug mit der Faust aufs Lenkrad und schrie: »Scheiße!«
Er schloss die Augen.
Mach dich locker, Junge.
Nicht die Nerven verlieren.
Es muss einen Ausweg geben.
»Dennis?«
Er öffnete die Augen und sah Kevin in der Tür stehen und sich winden, als müsste er dringend mal.
»Du sollst doch nach den Bullen Ausschau halten.«
»Ich muss mit dir reden. Wo ist Mars?«
»Er beobachtet den Vorgarten. Und du gehst wieder auf deinen Posten. Hau ab.«
Dennis machte die Augen fest zu. Die Polizei beobachtete Vorder- und Rückseite des Hauses, aber das war groß – es musste doch ein Fenster oder eine Tür geben, die die Bullen nicht einsehen konnten. Rund um das Gebäude standen Bäume, Sträucher und Mauern, die zusammen mit den umliegenden Häusern und Gärten eine gute Deckung gaben. Am Abend würde die Dunkelheit zwischen den Häusern Nester bilden, in deren Schutz sie unsichtbar wären. Bei einem Ablenkungsmanöver – wenn er zum Beispiel die Geiseln als Mars, Kevin und sich selbst zurechtmachen und gefesselt in den Jaguar setzen würde und dann mit der Fernbedienung die Garagentür öffnete –, würden alle Polizisten sich auf das Auto konzentrieren, und er könnte auf der anderen Seite aus dem Haus schlüpfen und durch die Dunkelheit verschwinden.
»Dennis?«
»Uns droht die Todesstrafe, Kevin. Lass mich nachdenken!«
»Es geht um Mars. Wir müssen darüber reden, was passiert ist.«
Kevin machte wieder ein überängstliches Gesicht. Schon sein Augenausdruck, dieses stumme ›Tu mir bitte nicht weh!‹ – Dennis spürte Lust, ihn zu schlagen. Er hasste seinen jüngeren Bruder und hatte es immer getan. Er hasste die erdrückende Last, ihn durchs Leben schleppen zu müssen. Den Gefängnispsychiater hatte er nicht gebraucht, um zu wissen, warum: Kevin verkörperte ihre Vergangenheit – ihre schwache Mutter, die nie was geregelt bekommen hatte; ihren brutalen, drogensüchtigen Vater, der seine Kinder verprügelt hatte; ihre ganze erbärmliche und beschämende Lebenssituation. Kevin war die leibhaftige Drohung ihres künftigen Scheiterns, und dafür hasste ihn Dennis.
Er stieg aus dem Jaguar und knallte die Wagentür zu.
»Wir müssen einen Weg hier heraus finden, Kevin. Unbedingt – so einfach ist das. Einen Weg aus diesem verdammten Haus, denn ich geh nicht wieder in den Knast.«
Dennis drängte sich an seinem Bruder vorbei, weil er seinen Anblick nicht ertrug. Kevin folgte ihm sofort. Sie gingen durch die Küche, dann durch den breiten Flur an einem richtigen Esszimmer vorbei und kamen in ein Herrenzimmer mit dicken Ledersofas und einer prächtigen, kupfernen Theke. Dennis stellte sich vor, hier strahlend schönen Gästen, die geradewegs der Fernsehwerbung und den Pornovideos entstiegen waren, Cocktails zu kredenzen. Wenn er in so einem Haus leben würde, wäre er am Drücker. Ein gemachter Mann. Dann hätte sich seine Bestimmung erfüllt.
Sie kamen ins Elternschlafzimmer, das nach
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