Hostage - Entführt
musste hier durch.
Thomas kroch zum kleinen Hobbyraum seines Vaters, der auch von der Waschküche abging, schlüpfte hinein und machte die Tür leise zu. Dann knipste er die Taschenlampe wieder an. Hier baute sein Vater Plastikmodelle von Trägerraketen aus der Steinzeit der Weltraumfahrt zusammen. Er bestellte die Bausätze im Internet, tüftelte lange an ihnen herum, bemalte die Raketen an einer kleinen Werkbank und stellte sie schließlich darüber ins Regal. Und auf dem obersten Regalbrett bewahrte er in einer Blechkiste eine Pistole auf. Thomas hatte Mom und Dad wegen der Waffe mal streiten hören. Früher hatte Dad sie unter dem Fahrersitz des Jaguars gehabt, aber Mom hatte so einen Aufstand deswegen gemacht, dass er sie aus dem Wagen genommen und in die Kiste getan hatte.
Auf dem obersten Regalbrett.
Ganz schön hoch.
Thomas spreizte die Finger über dem Glas der Taschenlampe, und ein schmaler Lichtstrahl fiel in den Raum. Wenn ich über den Stuhl auf die Werkbank klettere, komm ich wahrscheinlich dran, dachte er.
Er stieg hinauf. Es war so still, dass jedes Knacken der Werkbank wie ein Erdbeben klang. Thomas schaltete die Taschenlampe noch mal für einen Moment an, um sich einzuprägen, wo genau die Kiste stand. Dann streckte er die Hand danach aus, konnte sie aber nicht erreichen. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und berührte die Kiste gerade eben mit den Fingerkuppen. Das half ihm auch nicht weiter.
Da hörte er Dennis:
»Sie kommen! Kev, Mars! Sie kommen!«
Thomas verschwendete keinen weiteren Gedanken an die Waffe. Fast hätte er sie gehabt, aber jetzt war keine Zeit mehr. Nur zurück in mein Zimmer, bevor sie mich entdecken! Er sprang von der Werkbank und rannte zur Waschküche. In diesem Moment knallten zwei Schüsse kurz hintereinander durchs Haus.
Jennifers Handtasche nahm er nicht bewusst wahr. Sie lag auf dem Klapptisch neben der Tür zur Garage, wo alle – weil's so praktisch war – ihre Sachen hinlegten, wenn sie ins Haus kamen. Jennifers Handtasche – genauso eine, wie sie alle anderen Mädchen in ihrer High School besaßen. Thomas griff einfach danach.
Er kletterte auf die Waschmaschine, von dort auf den Boiler und weiter durch die Luke in den Kriechgang. Das Letzte, was er hörte, bevor er den Einstieg hinter sich zumachte, war Dennis' Schrei, sie müssten sich die Kinder schnappen.
Talley
Die Rolle des Chefunterhändlers abzugeben war nie einfach. Talley hatte schon eine Beziehung zu Rooney aufgebaut, doch jetzt würde Maddox an seine Stelle treten. Möglich, dass Rooney sich dagegen sträubte, aber dem Täter wurde unter keinen Umständen eine Wahl gelassen – denn eine Wahl zu haben bedeutete, Macht zu haben, und die räumte man ihm nicht ein.
Talley brachte Maddox und Ellison in die Sackgasse und kauerte sich mit ihnen hinter seinen Streifenwagen. Er wollte seine Gespräche mit Rooney ausführlicher durchgehen, damit Maddox etwas hatte, worauf er aufbauen konnte, aber dafür blieb keine Zeit: Die Schüsse aus dem Haus hallten durch die Sommernacht wie Fehlzündungen in einer entfernten Schlucht.
Nur Sekunden später brach ein Sturm von Funksprüchen über sie herein:
»Wir sind unter Beschuss! Vom Haus her! Wir sind hinten in der Westecke des Gartens! Anweisungen erbeten!«
Talley, Maddox und Ellison begriffen sofort, was geschehen war.
»Verflixt, sie hat das SEK zu nah rangehen lassen! Rooney glaubt, die wollen stürmen.«
»Jetzt sitzen wir in der Patsche«, meinte Ellison.
Talley wurde übel: So konnte es nur schief gehen. Auf diese Tour gab's Tote. In null Komma nichts.
Maddox suchte hektisch nach seinem Funkgerät, während andere ihre Position durchgaben und meldeten, sie hätten weder Tote noch Verletzte. Jetzt hörte man die blecherne Stimme von Carl Hicks, dem Leiter des Angriffsteams. Sie klang ruhig und übertönte die angespannten Stimmen seiner Männer.
»Anweisungen in Kürze. Wartet ab, bis wir die Lage beurteilt haben.«
Talley wartete nicht ab. Er wechselte auf die Frequenz des Angriffsteams und rief in sein Funkgerät:
»Rückzug, Rückzug! Nicht zurückschießen!«
Jetzt schaltete sich Captain Martin ein; sie fragte knapp:
»Wer spricht?«
»Talley. Ich hab Ihnen doch gesagt, Sie sollen nicht näher rangehen!«
»Talley – raus aus der Frequenz!«
Jetzt hatte Maddox sein Funkgerät endlich gefunden und fluchte, als er es einschaltete.
»Zentrale, hier Maddox. Hören Sie auf ihn, Captain. Stürmen Sie das Haus nicht! Ziehen Sie
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