Hostage - Entführt
irgendwas fertig machen, das ein Kunde abholen wollte.«
Talley hatte Bedenken vor dem nächsten Schritt, doch der Junge war die einzige Chance für seine Frau und seine Tochter.
»Thomas – ich brauch deine Hilfe. Kann sein, dass die Sache einfach ist – vielleicht ist sie aber auch gefährlich. Wenn du meinst, die Kerle können dahinter kommen und dir wehtun, will ich nicht, dass du was unternimmst, verstanden?«
»Klar!«
Der Junge war aufgeregt. Er war noch klein und hatte keine deutliche Vorstellung von Gefahr.
»Dein Dad hat ein paar Disketten. Wahrscheinlich sind sie auf seinem Schreibtisch oder in seiner Aktentasche. Vermutlich hat er heute mit ihnen gearbeitet. Sie heißen Zip-Disketten. Weißt du, was das ist?«
Thomas schnaubte verächtlich.
»Ich hab jahrelang ein Zip-Laufwerk gehabt, Chief. Zip-Disketten sind groß und dick. Da passen viel mehr Daten drauf als auf normale Disketten.«
»Sie sind mit ›Eins‹ und ›Zwei‹ beschriftet. Wenn du wieder unten im Arbeitszimmer bist – kommst du dann an den Schreibtisch ran? Kannst du die Disketten suchen und nachsehen, wem sie gehören?«
»Nein – die lassen mich bestimmt nicht an den Schreibtisch. Dennis zwingt mich immer, auf dem Boden zu sitzen.«
Die schwache Hoffnung, die Talley eben gehabt hatte, schwand dahin. Dann sagte Thomas:
»Aber vielleicht kann ich mich ins Arbeitszimmer schleichen, wenn niemand in der Nähe ist. Dann schnapp ich mir die Disketten und schieb sie hier oben in den Computer.«
»Ich hab gedacht, sie haben dich in deinem Zimmer eingeschlossen?«
»Haben sie auch, aber ich komm raus.«
»Wie das denn?«
Thomas beschrieb Talley, wie er sich im ersten Stock unter dem Dach durchs Haus bewegen und durch Luken an verschiedenen Stellen auftauchen konnte.
»Kannst du durch den Kriechgang auch ins Arbeitszimmer kommen?«
»Ins Büro nicht, aber ins Herrenzimmer. Es gibt eine Luke runter in den Weinkeller. Der liegt hinter der Bar. Von da kommt man ins Herrenzimmer, und Dads Büro liegt dann gleich gegenüber. Meine Mutter sagt, sie hört's immer, wenn er zu oft von dort ins Weinlager schleicht.«
Talleys Hoffnung regte sich wieder, wurde aber dadurch gedämpft, dass er dem Kind unmöglich erlauben durfte, sein Leben zu riskieren.
»Das klingt zu gefährlich.«
»Nicht, wenn sie mich nicht bemerken. Mars ist meistens im Büro, aber Kevin ist hinten an der Terrassentür. Und Dennis läuft viel rum. Manchmal bleibt er längere Zeit im Sicherheitsraum – da, wo die ganzen Monitore sind. Wenn ich erst im Herrenzimmer bin, muss ich nur über die Diele ins Büro und an den Schreibtisch schleichen. Das geht ganz fix.«
Talley dachte nach und bemühte sich, diesen Vorschlag realistisch zu beurteilen und nicht in Wunschdenken zu verfallen. Er würde alle drei Geiselnehmer dazu bringen müssen, sich nicht in diesem Teil des Hauses aufzuhalten. Und er müsste die Überwachungskameras stören – für den Fall, dass einer der Täter im Sicherheitsraum war.
»Wenn ich Rooney und die anderen vom Büro fern halte – meinst du, du kannst die Disketten dann holen, ohne geschnappt zu werden?«
»Null Problem.«
»Schaffst du das auch im Dunkeln?«
»Ich mach solche Sachen fast jede Nacht.«
Thomas lachte, Talley nicht. Er sollte dem Kind eigentlich helfen – und jetzt wollte er, dass das Kind ihm half. Er hatte den Eindruck, ebenso sehr eine Geisel zu sein wie Thomas oder Jane. Und er hoffte, er werde sich vergeben können, was er jetzt tat.
»Na gut, Thomas. Dann lass uns das in Angriff nehmen.«
Die Nacht war so klar, dass Häuser, Autos und Polizisten wie in Glas geschliffen schienen. Das Licht, das aus den Fenstern fiel, der Schein der Straßenlaternen, die Zigarettenglut – alles drang grell und scharf umrissen durch die Dunkelheit. Die Hubschrauber standen wie auf Beute lauernde Nachtfalken am sternenübersäten Himmel. Talley spürte, dass der Rolex-Mann bald anrufen würde. Thomas war noch oben in seinem Zimmer, und seine Schwester arbeitete weiter in der Küche, aber das konnte sich jeden Moment ändern. Talley hatte nicht viel Zeit.
Er traf Jorgenson und brachte ihn zum Wagen der Stadtwerke. Ein junger Mann mit rasiertem Schädel und geflochtenem Kinnbart lag bei offenen Türen schlafend auf der Sitzbank im Führerhaus. Talley rüttelte ihn am Fuß.
»Können Sie den Strom im Haus abstellen?«
Der Mann von den Stadtwerken fuhr sich durchs Gesicht. Das Muster der Sitzbank prangte auf seiner
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