Hostage - Entführt
Unterseite des Geräts lang. Sie roch feucht.
Als Thomas auf der anderen Seite des Kompressors rauskam, war er durchgeschwitzt. Der Staub auf seiner Haut hatte sich in einen glitschigen Schmutzfilm verwandelt. Unter dem Gerät durchzukriechen hatte viel länger gedauert, als er erwartet hatte.
Thomas horchte an der Luke und zog sie ein paar Sekunden später langsam hoch. Der Weinkeller war dunkel. Niemand da. An den Wänden des langen, schmalen Raums verliefen Flaschenregale, die vom Fußboden bis zur Decke reichten. Thomas schlug Kälte entgegen, denn die Weine wurden bei elf Grad Celsius gelagert. Er schaltete die Taschenlampe ein, legte sie zwischen die nächsten Flaschen, drehte sich um, ließ sich – die Füße voran – runter und fand Halt an einem massiven Regal. Ein paar Sekunden später stand er auf dem Fußboden.
Vorsichtig öffnete er die Tür und sah, dass das Herrenzimmer hell erleuchtet war. Er hörte den Fernseher im Büro, Jennifer in der Küche, dann eine männliche Stimme, aber er konnte nicht erkennen, ob das Dennis oder Mars war. Kevin jedenfalls war es bestimmt nicht.
Das Herrenzimmer war ein gemütlicher, holzgetäfelter Raum, den sein Vater für geschäftliche Besprechungen nutzte und wo er Zigarren rauchte. Zwei dunkle Ledersofas standen einander an einem Couchtisch gegenüber, und die Regale waren voller Bücher, die sein Vater zum Vergnügen las: alte Wälzer über Safaris in Afrika sowie Sciencefiction-Romane, die – wie er seinem Sohn erzählt hatte – einen hohen Sammlerwert besaßen. An einer Wand befand sich die Bar mit vier ledergepolsterten Hockern. Nur hier ließ Mom Dad rauchen, achtete aber darauf, dass er die Türen zumachte, wenn er sich seine Stumpen ansteckte. Thomas' Vater nannte seine teuren Zigarren gern Stumpen und musste über dieses Wort jedes Mal lächeln.
Um ins Büro zu gelangen, musste Thomas nur durchs Herrenzimmer zur Flügeltür und von dort quer über die Diele laufen. In der Diele würde rechts die Haustür auftauchen, links der Flur, der zur Küche und tiefer ins Haus führte.
Thomas nahm sein Handy aus der Tasche, schaltete es ein und rief Chief Talley an.
Talley
Talley überprüfte seine Funkverbindung.
»Jorgenson?«
»Ja, Chief?«
»Bleib am Apparat.«
Talley stand mit Hobbs – einem Mann vom Angriffsteam des SEK – in der Flanders Road an der Außenmauer des Grundstücks der Smiths. Hobbs hielt ein Scharfschützengewehr mit Nachtsichtgerät in der Hand. Im Lauf steckte keine Kugel, und das Magazin war leer. Talley hatte eine mit der Starflash-Granate geladene Schrotflinte dabei.
»Lassen Sie mich mal durchsehen.«
Talley nahm Hobbs das Gewehr aus der Hand und richtete das Zielfernrohr auf die Terrassentür. Seit fast sechs Minuten spähte er schon über die Mauer und wartete, dass Thomas anrief. Jennifer und Krupchek waren in der Küche. Talley nahm an, Kevin würde sich im Wohnzimmer aufhalten, aber sicher war er sich nicht. Dennis war zweimal durch die Küche gelaufen, vor drei Minuten Richtung Elternschlafzimmer verschwunden und bis jetzt nicht zurückgekommen. Talley vermutete, dass er im Überwachungsraum vor den Monitoren stand und beobachtete, ob sich ums Haus herum etwas tat.
Das Handy klingelte. Obwohl Talley damit gerechnet hatte, war er überrascht und zuckte erschrocken zusammen.
»Locker bleiben«, flüsterte Hobbs.
Talley gab ihm das Gewehr zurück und meldete sich dann leise.
Thomas flüsterte.
»Hi, Chief! Ich bin im Herrenzimmer.«
Talley beobachtete das Spiel der Schatten, die aus dem Garten auf die Terrassentür fielen.
»Prima, Junge. Bist du bereit? Wie verabredet?«
»Ja. Die schnappen mich nicht.«
»Beim kleinsten, beim allerkleinsten Risiko verziehst du dich sofort wieder in dein Zimmer, verstanden?«
Schon als er das sagte, fühlte Talley sich als Lügner. Die ganze Sache war ein Risiko.
»Also los.«
Er befahl in sein Schultermikrofon: »Licht aus.«
Das Haus versank im Dunkeln.
Dennis
Dennis saß an Walter Smiths Schreibtisch und sah fern. Kevin war hinten bei der Terrassentür, Mars mit dem Mädchen in der Küche. Alle Lokalsender bis auf zwei Kanäle brachten wieder ihr normales Programm und unterbrachen es nur alle paar Minuten für eine kurze Luftaufnahme von York Estates. Den bundesweiten Kabelkanälen waren die Geschehnisse hier völlig gleichgültig. Dennis war gekränkt und hatte MTV eingeschaltet: Schwarze Jungs mit wasserstoffblonden Haaren machten einen auf Gangster. Er zielte
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