Hot Summer
mich, ob sie erwartete, dass ich sie mit einer Umarmung begrüßte. Sie wartet verdammt lange auf ihre Umarmung, dachte ich. Und lächelte immer noch.
„Ich bin früher gekommen, weil ich sehen wollte, ob du Hilfe brauchst“, sagte sie schließlich.
„Nein.“ Die Erwiderung entfuhr mir so prompt wie Blut, das aus einer Arterie sprudelt. „Es ist für alles gesorgt.“
Sie schaute sich um. Ihre Augen huschten über das Zelt, den Garten und die Tische. „Das sieht alles sehr nett aus.“
Ich denke, sie versuchte nett zu sein. Ich denke, sie wollte es sein. Zumindest wollte ich es ihr hoch anrechnen, denn falls ich annahm, dass sie wirklich nur versuchte, mich bloßzustellen, wäre ich mehr als bösartig geworden.
„Danke. James ist im Haus.“
„Also. Es ist der dreißigste Hochzeitstag deiner Eltern?“
Ich nickte. Noch immer strahlte ich sie an. Langsam begann mein Gesicht zu schmerzen. „Ja.“
Vielleicht hat sie in diesem Moment nicht an mein Alter gedacht. Ich war neunundzwanzig, und mein Geburtstag war im April. Vielleicht nicht. Aber sie sah wirklich aus, als wäre sie in Hundescheiße getreten.
„Das ist schon eine Leistung“, sagte sie, als hätten meine Eltern dafür einen goldenen Stern verdient. „Frank und ich sind im Dezember seit fünfundvierzig Jahren verheiratet.“
Erneut schaute sie sich im Garten um und blickte zum Haus. „Eine Party ist wirklich eine so schöne Geste, um deine Eltern zu ehren, Anne.“
Ich würde auf keinen Fall zum Hochzeitstag von Evelyn und Frank Kinney eine Party ausrichten. Auf keinen Fall. Sie hatte einen Sohn und zwei Töchter, und sie waren alle in der Lage, diese Sache selbst in die Hand zu nehmen, wenn sie wollten. Was sie vermutlich nicht wollten. Scheiße. Scheiße, Scheiße, Scheiße.
„James ist im Haus“, sagte ich erneut. Immer noch lächelnd.
Sie warf mir einen seltsamen Blick zu. „Ja, das sagtest du bereits, Anne.“
„Willst du nicht reingehen und ihn begrüßen?“
Irgendwas an meinem Blick wirkte wohl sauer, denn sie runzelte leicht die Stirn. „Anne, geht es dir gut?“
„Ja, bestens. Alles in Ordnung. Ich habe nur eine Menge zu tun, das ist alles. Warum gehst du nicht schon mal nach drinnen und ich werde nur kurz mit dem Caterer reden.“ Mehr Lächeln. Heftiges Lächeln. Ich bekam leichte Kopfschmerzen.
Ich lächelte.
Glücklicherweise wich sie zurück. Vielleicht bekam sie Angst vor mir. Vielleicht wollte ich das auch.
Die ersten Gäste kamen. Sie füllten die Einfahrt und parkten entlang der schmalen Straße. Wir hatten die Nachbarn eingeladen – auch jene, die wir nicht mochten –, damit sie keine Probleme machten, wenn die Straße zugeparkt wurde. Die Sonne kam heraus und strahlte so heiß, wie man es an einem späten Augustnachmittag erwarten konnte. Wind kam auf und wehte vom See herauf, und das Zelt und unsere Kiefern spendeten Schatten. Einige Leute liefen hinunter zum Wasser, spritzten einander nass und lachten.
Es gab genug zu essen für alle, obwohl sich Patricia bis zum Schluss darum gesorgt hatte. Es gab Unmengen Fleisch, die großzügig in Meerrettich und Barbecuesauce ertränkt werden konnten. Dazu Berge knuspriger Brötchen, gebackene Kartoffeln und Nudelsalate. Krautsalat. Dutzende Desserts. Die Leute aßen und redeten und lernten einander kennen. Sie tranken.
Mein Vater hielt auf dem Rasen Hof. Ein Plastikgartenstuhl war sein Thron und eine Bierflasche sein Zepter. Meine Mutter rannte hin und her, um ihn zu bedienen. Sie brachte ihm Teller mit Essen und Coladosen, die er beiseitestellte und nicht trank. Er begann mit Bier, aber schon bald wandte er sich wieder seinem bevorzugten Getränk zu: große Gläser mit eisgekühltem Tee, in denen nach und nach immer weniger Tee war und immer mehr Whiskey.
Mary verbrachte den Großteil ihrer Zeit diskret an Betts’ Seite. Patricia schwirrte zwischen Haus und Zelt hin und her und überwachte das Essen. Kinder spielten unter Claires Aufsicht. Sie war eine erstaunlich gute Babysitterin, die Kinder liebten sie, weil sie mit ihnen Abzählreime und Fangen spielte. Heute trug sie einen eng anliegenden Rock und ein Oberteil, beides überraschend sittsam und dennoch die kleine Wölbung ihres Bauchs zur Schau stellend. Sie war fraglos schwanger, für jeden sichtbar.
Die Party war ein absoluter Erfolg. Familie und Freunde hatten sich versammelt, um das zu feiern, was für jedes andere Paar ein schöner Anlass gewesen wäre; bei meinen Eltern schien es zugleich
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